Arbeitsblatt: Textverständnis Deutsch

Material-Details

Textverständnis mit zusätzlichen Fragen dazu
Deutsch
Textverständnis
8. Schuljahr
2 Seiten

Statistik

128147
1740
91
17.05.2014

Autor/in

Melanie Fatigati
Land: Schweiz
Registriert vor 2006

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Textauszüge aus dem Inhalt:

Die gute alte Zeit war gefährlich Wer glaubt, das Leben im Jahr 2003 sei riskant, sollte einen Blick in die Vergangenheit werfen. Es war noch nie so sicher wie heute. Von Daniel Bach Die Reise mit der Zeitmaschine führt in die Mitte des 19. Jahrhunderts. Der Pilot heisst Christian Pfister. Als Professor für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte an der Universität Bern beschäftigt er sich intensiv mit der Frage, wie der Alltag von Herr und Frau Schweizer um 1850 aussah. «Eines ist sicher», erklärt Pfister schon zu Beginn des Gesprächs, «er war viel riskanter als heute.» Die Quellen sprächen eine eindeutige Sprache. Krankheiten sind oft ein Todesurteil Schon der Start ins Leben ist zu dieser Zeit gefährlich. Im Kanton Bern stirbt jedes sechste Kind im ersten Lebensjahr; heute ist es nur noch eines von 200. Wesentlich tiefer ist auch die Lebenserwartung. Wer 1850 in der Schweiz zur Welt kommt, kann als Knabe mit 40 und als Mädchen mit 43 Lebensjahren rechnen. Ist die Kindheit einmal überstanden, bessert sich die Perspektive. 15-jährige Knaben und Mädchen werden im Durchschnitt fast 60 Jahre alt. Es gibt mehrere Gründe für die höhere Kindersterblichkeit und die kürzere Existenz. Der wichtigste ist die medizinische Versorgung. Im Kanton Bern kommen 1856 ein Arzt und ein Krankenbett auf 2000 Einwohner; heute ist die Dichte an Medizinern mehr als zehnmal so hoch. Die kleine Zahl ist das eine, die Verteilung das andere. Im 19. Jahrhundert leben die meisten Ärzte dort, wo die zahlungskräftigen «Kunden» zu Hause sind: in der Stadt. Das Land ist eine medizinische Wüste. Im gesamten Berner Oberland sind 1856 ganze 15 Ärzte tätig. Kranke Menschen müssen mit Ross und Wagen über grosse Strecken transportiert werden. Sofern sie sich den Besuch beim Doktor leisten können. Hinzu kommt, dass Medikamente wie auch Behandlungen zu dieser Zeit weit weniger effektiv sind als heute. «Bis zur Erfindung des Penicillins im 20. Jahrhundert gab es keine wirklich wirksame Medizin», sagt Pfister. Wer ernsthaft krank wird, muss damit rechnen, bald zu sterben. Vor allem bei den Kindern ist die Sterblichkeit so hoch, «dass praktisch jedes Mädchen und jeder Knabe irgendwann zuschauen muss, wie der Bruder oder die Schwester stirbt». Das Risiko eines plötzlichen Todes ist laut Pfister zu dieser Zeit allgegenwärtig. Hungertote und Erfrorene Um 1850 sterben die meisten Leute an Leiden, die heute problemlos geheilt werden können: «Fieber», Tuberkulose, Lungenentzündung und «Wassersucht». Besonders gefürchtet sind Epidemien wie die «Rote Ruhr», deren Diagnose einem Todesurteil gleichkommt. «Es war, als ob der Blitz eingeschlagen hätte ins Haus, da war kein Gesicht, welches nicht bleich ward, keine Hand, die nicht zitterte. Daran hatte man nicht gedacht, dass die Mutter den roten Schaden bekommen konnte», schreibt Jeremias Gotthelf in «Geld und Geist». Die Menschen des frühen 19. Jahrhunderts schlagen sich zudem mit einem existenziellen Problem herum, das heute in der Wohlstandsgesellschaft kein Thema mehr ist: dem Hunger. Vor allem bei Missernten kommen viele in Bedrängnis. 1817 sterben in der Ostschweiz nach einem kalten und nassen Sommer Hunderte an den Folgen der Unterversorgung. Und in Bern gehen 1847 einem Drittel der Haushalte nach einer Kartoffel-Missernte die Vorräte aus; Erwachsene und Kinder leben von der Hand in den Mund. Angehörige der unteren sozialen Schichten geben mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus; werden diese teurer, leert sich die Vorratskammer bedrohlich schnell. Auch die Kälte kann armen Menschen im späten 19. Jahrhundert noch zum Verhängnis Seite 1 von 2 Deutsch (ISBN 3-03905-058-3) – Schreiben Lesen und Verstehen Sprechen Grammatik – h.e.p. verlag werden. Im Dezember 1879, einem Monat mit Tiefsttemperaturen um 30 Grad unter Null, erfrieren in der Schweiz 79 Personen. Viel mehr schwere Verbrechen Wesentlich grösser als heute ist um 1880 auch die Gefahr, Opfer eines Verbrechens zu werden. Bei einer Bevölkerungszahl von 2,8 Millionen werden von 1876 bis 1885 durchschnittlich 72 Menschen pro Jahr ermordet Kindsmorde nicht einberechnet. Hundert Jahre später sind es bei doppelt so vielen Einwohnern nur noch halb so viele Delikte. Umgekehrt verhält es sich mit den Unfällen. Um 1870 verursachen sie in der ganzen Schweiz 62 Todesfälle; heute sterben allein im Kanton Zürich 100 Personen pro Jahr bei Verkehrsunfällen. Risiken sind das eine, ihre Wahrnehmung etwas ganz anderes. Die Menschen des 19. Jahrhunderts fürchten sich vor allem vor der Verarmung im Alter. Sie droht all jenen, die nicht genug Geld gespart haben oder von ihren Kindern nicht unterstützt werden. Lebensund Rentenversicherungen existieren erst ab 1857 und sind begüterten Kreisen sowie dem Mittelstand vorbehalten. Fatal wirkt sich auch eine Invalidität aus; die Invalidenversicherung wird erst 1960 gegründet. Die grosse Angst ums Seelenheil Von Votivtafeln in Kirchen weiss man zudem, dass sich die Menschen im 19. Jahrhundert noch mit einer allgegenwärtigen Angst herumschlagen, die uns heute fremd ist: Sie fürchten um ihr Seelenheil. Sprich: zu sterben, ohne gebeichtet und das Sakrament erhalten zu haben. Denn in einem solchen Fall droht das Fegefeuer. Weil der Tod jederzeit eintreten kann, spenden begüterte Menschen grosse Summen und gründen wohltätige Stiftungen, um im Falle eines Falles mit einem sauberen Gewissen vor den Schöpfer zu treten. Seite 2 von 2 Deutsch (ISBN 3-03905-058-3) – Schreiben Lesen und Verstehen Sprechen Grammatik – h.e.p. verlag