Arbeitsblatt: Für niemanden zu sprechen...

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Deutsch
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8. Schuljahr
1 Seiten

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584
4
27.06.2016

Autor/in

mark steiner
Land: Schweiz
Registriert vor 2006

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Textauszüge aus dem Inhalt:

Schreiben: Für niemanden zu sprechen (von Hedi Küng) Als ich damals meine Stelle als Direktionssekretärin antrat, konnte ich nicht wissen, dass mein Vorgänger im Betrieb gestorben war. Ich übernahm sein Büro, so wie er es hinterlassen hatte. Der Schreibtisch war von oben bis unten mit Pendenzen belegt. Selbst auf dem Fensterbrett und auf den Büchern in den Regalen lagen lose Blätter, Notizen, Briefe, Zeitungen und Zuckerwürfel. Ich benötigte beinahe zwei Monate, bis ich mich eingelebt und das Durcheinander in Ordnung gebracht hatte. Aber eines Tages war es soweit: Die Zuckerwürfel lagen in einer Zuckerbüchse, die Zeitungen waren gelesen, die wichtigen Artikel ausgeschnitten und fein säuberlich in ein großes Buch geklebt, wie es noch mein Vorgänger angefangen hatte. Die Briefe waren beantwortet und die Originale mit den Antwortkopien in den Dossiers abgelegt. Wenig später die neue Stelle gefiel mir inzwischen sehr rief mich der Direktor zu sich. «Ich glaube», sagte er vorsichtig und sah mich dabei an, »ich bin Ihnen noch eine Information schuldig. Es handelt sich um Ihren Vorgänger. Er ist nicht gestorben, wie man Sie vielleicht hat glauben lassen: er gilt als verschollen.» Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Verschollen? Die Unordnung, die er hinterlassen hatte, wirkte dadurch nur noch merkwürdiger. «Er war ein komischer Kauz», erklärte der Direktor. «Junggeselle aber er arbeitete die dreiundzwanzig Jahre, die er hier war, gewissenhaft und mit peinlicher Sauberkeit. Kontakt hatte er mit keinem hier. Eines Tages hing ein Karton mit der Aufschrift an seiner Bürotür. Wir achteten seinen Wunsch und ließen ihn allein. Wir glaubten damals, es handle sich um irgendeine dringende Terminarbeit, bei der er nicht gestört werden wollte. Als das Plakat nach einer Woche noch immer an der Tür hing, klopfte ich an. Da niemand antwortete, trat ich ein und sah das Durcheinander, das Sie ja kennen. Ihn selber suchten wir vergeblich. Selbst die Polizei, die wir einschalteten, fand nichts. Es fehlte jede Spur von ihm. Wir legten seine Post einfach auf die Haufen anderer Briefe. Als wir Ihre Zusage erhielten, waren seit seinem Verschwinden schon vier Monate vergangen. Das, meine Liebe, wollte ich Ihnen doch nicht länger vorenthalten.» Der Direktor erhob sich, und ich kehrte etwas verwirrt in mein Büro zurück. Ich hatte mich über nichts zu beklagen. Der Direktor war immer guter Laune, und wir arbeiteten vorzüglich miteinander. Rund zehn Jahre später erhielt ich den Auftrag, eine ausführliche Statistik über unseren Betrieb zu erstellen. Die Arbeit war nicht sehr schwierig, aber Zeit raubend. Schließlich fehlten nur noch einige wenige Angaben; Angaben aus der Zeit allerdings, da ich noch nicht in der Firma arbeitete. Der Direktor riet mir, im Archiv nachzusehen, und gab mir den Schlüssel, den er erst nach langem Suchen fand. Entschuldigend fügte er noch bei, ich solle mich wegen meines hellen Kleides vorsehen, das Archiv sei sicher in den letzten zehn, elf Jahren nicht mehr benutzt worden, und es wäre wohl sehr staubig. Ich stieg in den Keller hinunter und kam zu einer schweren Eisentür. Das Schloss war verrostet. Nur mit größter Kraftanstrengung konnte ich den Schlüssel drehen, und auch die Tür ließ sich nur sehr mühevoll öffnen. Als ich endlich den Lichtschalter fand und es hell wurde, blieb mir beinahe das Herz stehen. (Was liess die Sekretärin wohl erschaudern? Schreibe einen Schluss der Geschichte auf!)