Arbeitsblatt: Abwasseraufbereitung ARA Kläranlage

Material-Details

Seminararbeit mit Theorie und Umsetzungsmöglichkeiten für die Schule
Biologie
Gemischte Themen
11. Schuljahr
115 Seiten

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08.01.2018

Autor/in

Romina Sigrist
Land: Schweiz
Registriert vor 2006

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Textauszüge aus dem Inhalt:

Seminararbeit zur Lehrveranstaltung Fachwissenschaftliche Vertiefung mit pädagogischem Fokus Biologie Abwasserbehandlung Nachhaltiger Umgang mit der Ressource Wasser Romina Sigrist Fachexperte: Beurteilung der didaktischen Kriterien: Verantwortung Lehrveranstaltung: Zürich, Januar 2017 Dr. Adriano Joss Dr. Jacqueline Egli Prof. E. Hafen und Prof. M. Zwicky Inhaltsverzeichnis 1 2 Die Ressource Wasser . 6 1.1 Bedeutung des Wassers 6 1.2 Wasservorkommen auf der Erde. 7 1.3 Wasserverbrauch und Wassernachfrage 9 1.3.1 Globale Situation . 9 1.3.2 Situation Schweiz. 11 Abwasserbehandlung 13 2.1 Einleitung . 13 2.2 Die Kläranlage 13 2.2.1 Mechanische Reinigungsstufe . 15 2.2.2 Biologische Reinigungsstufe 16 2.2.3 Chemische Reinigungsstufe . 19 2.2.4 Nachklärung. 21 2.2.5 Ozonung 23 2.2.6 Schlammbehandlung Energiegewinnung 23 2.3 Eutrophierung: Wenn ein Gewässer aus dem Gleichgewicht gerät 25 2.4 Alternative biologische Prozesse . 27 2.4.1 Betriebs-Varianten des Belebtschlammverfahrens. 27 2.4.2 Effizienzsteigerung durch Oberflächenvergrösserung 30 2.4.3 Einstufige Stickstoff-Elimination: Eine mögliche Optimierung der Abwasserreinigung 31 2.5 3 Neue Herausforderungen für ARAs in der Schweiz . 33 2.5.1 Mikroverunreinigungen: Der nächste Quantensprung in der Abwasserreinigung . 33 2.5.2 Antibiotika: Segen und Risiken 37 2.5.3 Klärschlamm: eine erneuerbare Phosphor Quelle 40 2.5.4 Mikroplastik: Eine neue Herausforderung im Plastikzeitalter. 41 Didaktische Umsetzung . 43 3.1 Einbettung des Themas in den Schulunterricht 43 3.1.1 Stellenwert des Themas in der Biologie und Verbindung mit anderen Disziplinen 43 3.1.2 Bezug zur Evolutionstheorie 43 3.1.3 Bezug zu anderen in den HSGYM-Empfehlungen aufgeführten biologischen Grundkonzepten 44 3.2 Reflexion zu grundlegenden Misskonzepten 45 3.3 Studierende-zentriertes Rückwärts-Design. 45 3.3.1 Definition der Zielgruppe und Einbettung in den Lehrplan. 45 2 3.3.2 Leitidee 46 3.3.3 Dispositionsziele 47 3.3.4 Methodisch-didaktische Umsetzung . 47 4 Glossar . 70 5 Rückmeldung zur Seminararbeit . 73 6 7 8 5.1 Rückmeldung durch einen fachfernen Studierenden (Christian N.) . 73 5.2 Stellungnahme zur Rückmeldung 74 Danksagung . 75 Quellenverzeichnis 76 7.1 Abbildungen 76 7.2 Tabellen . 77 7.3 Literatur . 78 Anhang. 83 8.1 Arbeitsunterlagen Belebtschlammpraktikum. 83 8.2 Fragebogen 96 8.3 Skript 98 8.4 Folien Lektion 1 . 104 8.5 Folien Lektion 3 . 110 3 Abkürzungen ARA Abwasserreinigungsanlage DNS Desoxyribonucleinsäure EPFL Eidgenössische Technische Hochschule Lausanne ETH Eidgenössische Technische Hochschule Liter LE Lehrerexperiment LP Lehrperson LV Lehrervortrag Mia Milliarde N2 Stickstoff NH4 Ammonium NO2- Nitrit NO3 Nitrat PA Partnerarbeit RNS Ribonukleinsäure SuS Schüler und Schülerinnen ÜA Übungsaufgabe 4 Theorieteil 5 1 1.1 Die Ressource Wasser Bedeutung des Wassers „Ohne Wasser gibt es kein Leben. Wasser ist ein kostbares, für die Natur und den Menschen unentbehrliches Gut. (Europäische Wassercharta, 1968 Strassbourg [36]) Die Erde ist der einzige bekannte Planet im Universum, auf dem flüssiges Wasser auf der Oberfläche existiert [37]. Darum wird die Erde auch als „Der blaue Planet bezeichnet. Durch das Vorhandensein von Wasser auf der Erdoberfläche ist Leben erst möglich. Es ist Lebensraum für Tiere und Pflanzen und eine essentielle Komponente für alle Lebewesen, darunter auch für die Menschen. Ohne Wasser gibt es kein Leben, denn alle lebenswichtigen Vorgänge in den Zellen eines Organismus laufen in wässrigen Lösungen ab. Damit ist Wasser eine der wichtigsten, zugleich aber vielerorts auch eine sehr knappe Ressource. Abbildung 1: Blick auf die Erdoberfläche aus dem Weltall [15]. Nach dem heutigen Stand der Wissenschaft ist Wasser nicht nur eine Bedingung, sondern auch Entstehungsort des Lebens. Es gibt verschiedene Theorien, die die Entstehung der ersten Zelle in den früheren Urozeanen vermuten [38]. Allerdings wurde bis heute keine dieser Theorien bestätigt, denn experimentell konnten lebende Zellen bis anhin nicht erzeugt werden. Somit bleibt der Ursprung des Lebens in der Forschungswelt umstritten. Die Entstehung und Veränderung verschiedener Arten aus den ersten Lebewesen jedoch, kann mit der Theorie der Evolution erklärt werden. Die Evolution ist die Lehre der Bildung, Umwandlung und Weiterentwicklung von Arten. Sie beruht auf dem Vorhandensein biologischer Erbinformation, ihrer Weitergabe, und Weiterentwicklung durch Selektion. Dabei können Varianten entstehen, die sich in der Umwelt mit unterschiedlichem Erfolg durchsetzen, wobei sehr erfolgreiche Varianten zur Entwicklung neuer Arten führen. Dies erklärt die heutige Artenvielfalt der Lebewesen, die durch Evolution aus einem Urvorgänger, in einem mehr als dreieinhalb Milliarden Jahre andauernden Evolutionsprozess entstanden ist [39]. 6 1.2 Wasservorkommen auf der Erde 71% der Erdoberfläche sind mit Wasser bedeckt [40], wovon die Weltmeere den allergrössten Anteil bilden (Abbildung 2). Nur 2.5% des irdischen Wassers liegen als Süsswasser vor. Mehr als die Hälfte des Süsswassers ist aber als Eis an den Polen, in Gletschern und Dauerfrostböden gebunden und somit für den Menschen praktisch nicht direkt nutzbar. Den zweitgrössten Anteil an Süsswasser bildet das Grundwasser (Wasser unterhalb der Erdoberfläche, das durch Versickern von Niederschlägen oder aus Seen und Flüssen stammt). Im Vergleich dazu bilden Oberflächengewässer wie Seen, Fliessgewässer und Sümpfe einen sehr kleinen Anteil [41] (Abbildung 2). Abbildung 2: Wasserverteilung auf der Erde (angepasst nach [41]). Letztendlich können also nur etwa 0.03% des gesamten Wasservorkommens auf der Erde vom Mensch als Trinkwasser genutzt werden [41]. Dies entspricht etwa einer Handvoll Wasser aus einer vollen Badewanne. Die Süsswasservorräte sind auf dem Erdball nicht gleichmässig verteilt. Derzeit leiden rund 700 Millionen Menschen unter ungenügendem Zugang zu sauberem Wasser, das heisst jeder zehnte Weltbürger verfügt über weniger als 20 Liter pro Tag. Das ist weniger als die Hälfte dessen, was wir bei einer erfrischenden Morgendusche verbrauchen. Kinder sind besonders betroffen: Etwa 1800 Kinder unter 5 Jahren sterben jeden Tag, weil sie keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben und ausreichende sanitäre Einrichtungen fehlen [42]. Von grossem Wassermangel betroffen sind Teile Asiens, Nord- und Südafrikas, des Mittleren Ostens, Australiens, der West USA und Regionen in Südamerika (Abbildung 3). In Drittweltländern verschärft sich der Mangel an Wasser häufig zusätzlich aufgrund von einer stark wachsenden Bevölkerung und 7 einer damit verbundenen zunehmenden Verschmutzung der verfügbaren Trinkwasserressourcen. Durch die Klimaerwärmung ist eine zusätzliche Verschärfung des Trinkwasserproblems absehbar. Immer öfter zeigen sich auch in Europa und Nordamerika erste Anzeichen von Mangel an Trinkwasser, die sich in den nächsten 15 Jahren weiter verstärken werden [43]. Abbildung 3: Wasservorkommen auf der Erde in den Monaten Juli bis September, 1996-2005 (angepasst nach [44]). 8 1.3 Wasserverbrauch und Wassernachfrage 1.3.1 Globale Situation Global ist die Landwirtschaft der grösste Wasserverbraucher. Durchschnittlich 70% der erneuerbaren Wasserressourcen werden für landwirtschaftliche Zwecke benutzt, zum grössten Teil für die Bewässerung von Agrarflächen. Etwa 20% verbraucht die Industrie und etwa 10% die Haushalte [17] (Abbildung 4). Der prozentuale Anteil der Sektoren „Landwirtschaft, „Industrie und „Haushalte, ist unterschiedlich je nach Region, abhängig vom Klima und ökonomischen Faktoren. Tendenziell ist der Anteil des Wasserverbrauchs, in weniger entwickelten Ländern, in der Landwirtschaft grösser, während der Anteil des Wasserverbrauchs in der Industrie steigt, je besser es einem Land wirtschaftlich geht. So ist der Wasserverbrauch der Industrie zum Beispiel in Westeuropa und Nordamerika grösser, während in Nordafrika und Zentralasien der Wasserverbrauch für die LandAbbildung 4: Globaler Gesamtwasserverbrauch, aufgeteilt in Wasserverbrauch der Landwirtschaft, Industrie und wirtschaft überwiegt [16] (Abbildung 5). Haushalte (angepasst nach [17]). Abbildung 5: Wasserverbrauch aufgetrennt nach Sektor und Region (2005) (angepasst nach [16]). Ein detaillierter Einblick in den Sektor Haushalte zeigt, dass weltweit der durchschnittliche Wasserverbrauch pro Kopf sehr stark schwankt. In den USA ist der Wasserverbrauch pro Person mit mehr als 500 pro Tag und Kopf, durchschnittlich am höchsten (Abbildung 6). Deutschland und die Schweiz 9 liegen mit weniger als 200 pro Tag, in einem mittleren Bereich. Weniger wohlhabende Menschen in Regionen Afrikas (Uganda, Mosambik, Äthiopien, Angola) und Asiens (Kambodscha), sowie auf den karibischen Inseln Haitis, nutzen durchschnittlich weniger als 20 Wasser pro Tag und Kopf [22]. Abbildung 6: Mittlerer Wasserverbrauch pro Person und Tag, in Liter, 2006 (angepasst nach [22]). In vielen Regionen der Welt nimmt die Wassernachfrage zu. Hauptgrund dafür ist der Bevölkerungszuwachs: Heute leben auf der Erde 7.4 Mia Menschen; die erwartete Anzahl Menschen im Jahre 2050 beträgt ca. 9.1 Mia [45]. Diese Zunahme an Menschen auf der Erde resultiert wiederum in einer höheren Nachfrage für landwirtschaftliche und industrielle Produkte. Hinzu kommt, dass der Wasserverbrauch mit dem Bevölkerungswachstum überproportional zunimmt. So nahm in der Zeitspanne zwischen den Jahren 1900 bis 2010 der Wasserverbrauch fast doppelt so schnell zu, wie das Bevölkerungswachstum [17]. Grund dafür ist das ökonomische Wachstum in vielen Ländern, welches oft auch zu einem erhöhten Bedarf an Wasser führt, aufgrund von besserem Zugang zu Trinkwasser im Alltag (fliessendes Trinkwasser in den Haushalten) und einem veränderten Ernährungsverhalten. Die mehrheitlich pflanzenbasierte Ernährung verschiebt sich zusehends hin zu mehr Fleischkonsum, was den Wasserverbrauch für die Nahrungsmittelproduktion erhöht. 10 Schon gewusst? Der Wasserbedarf für die Produktion verschiedener Lebensmittel ist sehr unterschiedlich. Für ein Kilogramm Kartoffeln werden etwa 250 Liter Wasser verbraucht, hinter einem Kilogramm Rindfleisch hingegen verbergen sich mehr als 15‘000 Liter Wasser [26] (Abbildung 7). Dieser sehr hohe Wasserverbrauch bei der Fleischproduktion entsteht hauptsächlich bei der Herstellung von Futtermitteln für Nutztiere. Allgemein wird der Abbildung 7: Wasserverbrauch zur Herstellung von 1 Kg Kar- Wasserbedarf für die Produktion von Gütoffeln, im Vergleich zum Wasserverbrauch für 1 Kg Rindtern als „Virtuelles Wasser bezeichnet. fleisch [26]. 1.3.2 Situation Schweiz Die Schweiz wird als „Wasserschloss Europas bezeichnet. Grund dafür ist, dass in den Alpen grosse Flüsse entspringen, welche durch weite Teile des europäischen Kontinents fliessen. Das viele Süsswasser stammt aus Niederschlägen sowie der Schnee- und Gletscherschmelze. Der jährliche Niederschlag in der Schweiz ist fast doppelt so hoch wie im europäischen Mittel [46]. In der Schweiz gibt es daher Wasser in ausreichenden Mengen und in hoher Qualität [47]. Trinkwasser, welches in der Industrie verbraucht wird, bildet den grössten Anteil des Wasserverbrauchs in der Schweiz (Abbildung 8). Der Sektor der Haushalte beträgt mehr als ein Drittel des schweizerischen Wasserverbrauchs. Der Sektor Landwirtschaft wiederum, ist mit 10% nur sehr klein. Verglichen mit dem globalen Wasserverbrauch in der Landwirtschaft (70%, Abbildung 4), wird in der Schweiz vor allem für die Bewässerung erheblich weniger Wasser verwendet. Dies weil die Niederschlagsmenge in der Schweiz, verglichen mit vielen anderen Ländern auf der Welt, sehr hoch ist und somit das Agrarland natürlich bewässert wird. Abbildung 8: Wasserverbrauch in der Schweiz, aufgeteilt nach Landwirtschaft, Industrie und Haushalte (angepasst nach [17]). In der Schweiz verbraucht eine Person im Haushalt durchschnittlich 142 Liter Wasser pro Tag. Davon rund 22 Liter zum Trinken, Kochen und Abwaschen von Hand, etwa 16 Liter für Handwäsche und Körperpflege zwischendurch (Lavabo Bad) und nochmals ca. 36 Liter zum Baden oder Duschen. Über 40 Liter Abwasser spült eine Person täglich die Toilette herunter und rund 17 Liter verbraucht die 11 Waschmaschine. Der restliche Verbrauch verteilt sich auf den Geschirrspüler und den Aussenbereich, wie z.B. das Bewässern von Pflanzen im Garten. (Abbildung 9) [10]. Abbildung 9: Durchschnittlicher Wasserverbrauch in Haushalten, in Liter pro Person und Tag (angepasst nach [10]). Der durchschnittliche Wasserverbrauch pro Tag und Einwohner ist in der Schweiz seit dem Jahre 1975 rückläufig, dies vor allem im Industriesektor, aber auch im Bereich der Haushalte [48] (Abbildung 10). Für diesen Rückgang gibt es viele verschiedene Erklärungen, eine davon ist der Trend zu sparsameren Haushaltsgeräten und Armaturen, z.B. wassersparende WC-Spülungen und Waschmaschinen. Hinzu kommt die Veränderung hin zu einem bewussteren Wasserverbrauch, unter anderem durch verursachergerechte Gebühren und einer Verringerung von Leckagen im Trinkwassernetz, durch besseren Unterhalt [48]. Abbildung 10: Wasserverbrauch der Schweizer Haushalte zwischen 1997 und 2014 (angepasst nach [48]). 12 2 2.1 Abwasserbehandlung Einleitung Der Grossteil der 142 Liter Trinkwasser [48], die ein Durchschnittsschweizer täglich verbraucht, wird zu Abwasser und fliesst über die Kanalisation in die Kläranlage. Der Begriff Abwasser bezeichnet aber nicht nur den Schmutzwasseranfall von Haushalten, sondern allgemein Wasser, das durch den Einfluss des Menschen in irgendeiner Weise verschmutzt wird. Zum individuellen Wasserverbrauch hinzu kommt Regenwasser, welches in die Kanalisation gelangt und Wasser, das von Industrie und Gewerbe genutzt wird [49]. Abbildung 11: Abwasserreinigung in der Schweiz, Stand 2006/07. Die Farbe der Punkte bezeichnet die Kategorie der Abwasserbehandlung: steht für die Entfernung von Kohlenstoffverbindungen, bezeichnet die Phosphat Elimination, steht für Filtration, NH4 bezeichnet die Nitrifikation, die Denitrifikation und das Symbol bezeichnet weiterführende Reinigungen. Die Grösse der Punkte steht für die Ausbaugrösse der Kläranlage (angepasst nach [9]). 2.2 Die Kläranlage Die Abwasserreinigung in der Schweiz befindet sich auf einem hohen Niveau: Während 1965 nur 14% der Einwohner und Einwohnerinnen der Schweiz an eine zentrale Kläranlage angeschlossen waren, lag der relative Anteil im Jahr 2005 bereits auf über 97% [50]. Rund 750 Kläranlagen, 3500 Kleinkläranlagen und 90‘000 Kilometer Kanalisation sorgen für eine nahezu flächendeckende Ableitung und Reinigung des Abwassers [51]. Eine Kläranlage hat die Aufgabe, die im Abwasser enthaltenen Schmutz- und Nährstoffe soweit wie möglich zu entfernen. Zur Entfernung der Schmutzstoffe durchläuft das Abwasser verschiedene Stufen: Zunächst dient die mechanische Reinigungsstufe dazu, grobe Stoffe aus dem Abwasser zu entfernen. In der biologischen Reinigungsstufe bauen Mikroorganismen organische Kohlenstoffe und Stickstoffverbindungen ab und die chemische Reinigungsstufe dient zur Elimination von Phosphat. Moderne Kläranlagen, welche über alle drei Stufen verfügen, werden dreistufige Kläranlagen ge13 nannt. Zahlreiche kleinere Kläranlagen besitzen aber auch nur zwei oder eine Reinigungsstufe (in Abbildung 11 mittels rot-orange-gelben Punkten dargestellt). Die Funktionsweise einer Kläranlage wird anhand des Fallbeispiels der ARA Neugut, in Dübendorf, erläutert [2]. Die ARA Neugut ist eine der modernsten Kläranlagen in der Schweiz, welche aktiv mit Partnern aus der Forschung zusammenarbeitet und als erste Kläranlage in der Schweiz, im Jahr 2014, eine neue Behandlungsstufe zur Eliminierung von Mikroverunreinigungen (Ozonung; Verfahren der Entkeimung und Desinfektion durch Zugabe von Ozon) eingebunden hat. Die ARA Neugut reinigt das Abwasser der Gemeinden Dübendorf, Dietlikon und Wangen-Brüttisellen sowie das Abwasser aus Teilgebieten der Gemeinde Wallisellen. Täglich reinigt die ARA, je nach Regenmenge, 13 bis 57 Millionen Liter Abwasser, welche nach der Reinigung in die Glatt eingeleitet werden [2]. Abbildung 12 zeigt eine Luftaufnahme der ARA Neugut. Die verschiedenen Schritte der Abwasserbehandlung sind mit blauen Nummern gekennzeichnet, die Behandlung des anfallenden Schlammes ist rot gekennzeichnet. In Kläranlagen entstehen Gas und Wärme als Nebenprodukte der Schlammbehandlung, falls diese mittels anaerober Vergärung erfolgt (grün gekennzeichnete Punkte). Nicht zuletzt gehören zu einem erfolgreichen Betrieb einer solchen Anlage die Überwachung der einzelnen Prozesse und eine Kontrolle der Reinigungsqualität (gelb gekennzeichnete Punkte) [2]. Abbildung 12: Luftaufnahme der ARA Neugut (angepasst nach [2]). 14 2.2.1 Mechanische Reinigungsstufe Das anfallende Abwasser wird über die Kanalisation gesammelt und in die Kläranlage eingeleitet, wo es zunächst in die Rechenanlage strömt (Abbildung 13). Dort entnimmt ein Grobrechen, durch seine parallel angebrachten Stäbe, alle gröberen Verunreinigungen wie WC-Papier, Plastiksäcke, Holzstücke und so weiter. Das Rechengut wird entwässert und in einer Kehrichtverbrennungsanlage verbrannt [8]. Abbildung 13: Schematische Darstellung der Rechenanlage [8]. Nach der Rechenanlage wird das Abwasser in den Sand- und Fettfang weitergeleitet (Abbildung 14). Dort wird die Fliessgeschwindigkeit des Abwassers reduziert, wodurch kleine Partikel, welche schwerer sind als Wasser, wie zum Beispiel Sand und Kies, absinken [8]. Zusätzlich führt von unten eingeleitete Druckluft zum Auftreiben von Fett- und Schwimmstoffen, die dann mittels eines Fettfanges, oben entfernt werden und der Schlammbehandlung (Kapitel 2.2.6) zugeführt werden. Die abgelagerten Partikel am Boden des Sand-und Fettfanges werden mit einer Pumpe abgesogen, in eine Sandwaschanlage transportiert, gewaschen und in einem Kieswerk wieder verwertet [8]. Abbildung 14: Schematische Darstellung Sandund Fettfang [8]. In manchen Kläranlagen wird nach dem Sand-und Fettfang noch einmal ein Rechen eingesetzt. Dieser Feinrechen (Abbildung 15) entnimmt dem Abwasser nach dem Sand und Fettfang zusätzliche Feststoffe, die bis dahin nicht entfernt wurden [2]. Beispiele für Stoffe welche im Feinrechen gefunden werden sind: Wattestäbchen, kleine Papierfetzen, Kunststoffteile und Speiseresten. Wie das Rechengut des Grobrechens wird auch dieses entwässert, gepresst und in die Kehrichtverbrennungsanlage gebracht [2]. 15 Abbildung 15: Feinrechenanlage [2]. Im Vorklärbecken, in welches das Abwasser nach Sand-und Fettfang oder nach dem Feinrechen geleitet wird, werden aus dem Abwasser weitere Feststoffe sedimentiert (Abbildung 16). Die Fliessgeschwindigkeit wird noch einmal stark reduziert, so dass sich auch feine Schwebestoffe langsam absetzen. Der an der Beckensohle anfallende Schlamm, der so genannte Primärschlamm, wird mit einem Räumerbalken zum Schlammtrichter gefördert und von dort, in die Schlammbehandlung, abgeleitet [2] (Kapitel 2.2.6). Abbildung 16: Schematische Darstellung Vorklärbecken [8]. 2.2.2 Biologische Reinigungsstufe In der biologischen Reinigungsstufe, dem sogenannten Biologie- oder Belebtschlammbecken (Abbildung 17), macht man sich den Stoffwechsel verschiedener Bakterienarten und weiteren Mikroorganismen zu Nutze, um organische Stoffe und Stickstoffverbindungen abzubauen [2]. Als organische Stoffe werden Verbindungen bezeichnet, in welchen Kohlenstoff in Verbindung mit Wasserstoff (und meist Sauerstoff) enthalten sind [52]. 16 Abbildung 17: Schematische Darstellung Belebtschlammbecken [8]. Als Energie für Stoffwechselvorgänge können Bakterien Licht nutzen (phototrophe Bakterien) oder Energie aus dem Abbau von chemischen Stoffen gewinnen (chemotrophe Bakterien) [53]. Die Gewinnung von Energie aus chemischen Verbindungen kann dabei aerob (mit Sauerstoff) aber auch anaerob (ohne Sauerstoff) erfolgen. Sowohl mit, als auch ohne Sauerstoff erfolgt der Energiegewinn durch Oxidation einer chemischen Verbindung. Das heisst, der so genannte Elektronendonor gibt ein Elektron ab (wird oxidiert) und ein Elektronenakzeptor nimmt ein Elektron auf (wird reduziert). Die gesamte Reaktion ist eine so genannte Redoxreaktion. Als Elektronendonor werden von den meisten Bakterien bevorzugt organische Kohlenstoffverbindungen genutzt. Andere, spezialisierte Bakterien, können auch weitere Verbindungen, wie zum Beispiel Stickstoffverbindungen für die Energiegewinnung nutzen. Als effizientesten Elektronenakzeptor dient bei aeroben Reaktionen Sauerstoff, bei anaeroben Reaktionen kann dies zum Beispiel Stickstoff sein [54]. Das heisst, in erster Linie wandeln Bakterien im Belebtschlamm organische Verbindungen um. Da dies am effizientesten unter Anwesenheit von Sauerstoff erfolgt, wird in einem Teil des Belebtschlammbeckens von unten viel Luft zugeführt [8]. Bei ausreichender Verweilzeit des Schlammes im Becken (d.h. ab 10 Tagen) bilden sich neben den vielen verschiedenen Bakterienarten, welche Kohlenstoffverbindungen verwerten, auch Bakterien, welche Stickstoffverbindungen umwandeln. Stickstoffverbindungen, vor allem Ammonium, Ammoniak und Nitrit, sind giftig und können bei ungenügender Verdünnung in den Gewässern zu Fischsterben führen [8]. Zur Entfernung von Stickstoff aus dem Abwasser sind zwei Prozessschritte notwendig: Die Nitrifikation und die Denitrifikation (Abbildung 18). Beide biologischen Umwandlungsprozesse dienen unterschiedlichen spezialisierten Bakterien zur Energiegewinnung. Die sogenannten Nitrifikanten unter den Mikroorganismen oxidieren Ammonium/Ammoniak (NH4/NH3) zu Nitrit (NO2) und darauf zu weniger schädlichem Nitrat (NO3) (Nitrifikation). Für die Nitrifikation brauchen die Bakterien Sauerstoff, d.h. dass dieser Vorgang auch im aeroben (sauerstoffhaltigen) Teil des Beckens stattfindet [55]. In Anwesenheit von Sauerstoff findet immer zunächst der aerobe Abbau der einfach abbaubaren organischen Stoffe statt, bevor dann der Prozess der Nitrifikation ablaufen kann. Die Denitrifikation findet im anoxischen (sauerstofffreien) Teil des Beckens statt. Während der Denitrifikation erzeugen andere Bakterienarten, die so genannten Denitrifikanten, in mehreren Teiloxidationen, unter Abwesenheit von Sauerstoff, aus dem Nitrat und einer zusätzlichen gut verwertbaren organischen Kohlenstoffquelle, gasförmigen Stickstoff (N2), Kohlendioxid und Wasser [56]. Ein Rührer im anoxischen Teil 17 des Beckens sorgt für eine gute Durchmischung. Der Prozess der Denitrifikation läuft nur vollständig ab, wenn einfach abbaubare, organische Kohlenstoffe im Abwasser vorhanden sind. Daher findet der Prozess räumlich immer vor der Nitrifikation ab. Weil Nitrat das Ausgangssubstrat der Denitrifikation ist, wird es anhand eines internen Rücklaufes vom aeroben in den anoxischen Bereich des Belebtschlammbeckens geleitet. Abbildung 18: Graphische Darstellung des Abbaus von Stickstoff-Verbindungen durch Denitrifikation und Nitrifikation (eigene Darstellung). Im Laufe der Zeit nimmt durch die mikrobielle Stoffwechselaktivität im Belebtschlammbecken die Anzahl an Mikroorganismen zu und die Menge an organischen Stoffen im Abwasser verringert sich. Dabei häufen sich Bakterienzellen an und bilden lockere Verbunde, welche als Agglomerate oder Belebtschlammflocken bezeichnet werden. Entscheidend für die Reinigungsleistung im Belebtschlammbecken ist die Zusammensetzung der Mikroorganismen. Verschiedene Mikroorganismen weisen unterschiedliche Stoffwechselleistungen auf und sind somit in der Lage unterschiedliche Abwasserinhaltsstoffe umzuwandeln. Qualitative und quantitative Veränderungen der mikrobiellen Lebensgemeinschaft im Belebtschlamm sind Indikatoren für Störungen [57]. Eine Möglichkeit zur Beobachtung des Belebtschlammes bietet das Lichtmikroskop. Unter dem Lichtmikroskop kann der Belebtschlamm bis zu 100-mal vergrössert, angesehen werden. In der Abbildung 19 sind verschiedene mikroskopische Aufnahmen dargestellt, welche Mikroorganismen zeigen, die üblicherweise im Belebtschlamm vertreten sind. 18 Abbildung 19: Beispiele für Mikroorganismen, die im gesunden Belebtschlamm vertreten sind: Bäumchenbakterien Zoogloea (A) die Wimperntierchen Sauginfusorie Tocophyra (B) und Aspidisca costata (C) [27]. Der ARA Neugut gelingt es, zusätzlich im sauerstofffreien Teil des Belebtschlammbeckens, Lebensbedingungen für Phosphat anreichernde Organismen zu schaffen [2]. Diese Organismen können überproportional viel Phosphat aufnehmen und ermöglichen damit eine biologische Phosphat Elimination aus dem Abwasser. Sie stellt eine attraktive Alternative zur chemischen Phosphat Elimination dar, ist aber stark abhängig vom jeweiligen Nährstoffverhältnis im Abwasser. Phosphate stammten früher hauptsächlich aus Waschmitteln und der Landwirtschaft, werden aber auch durch menschliche Ausscheidungen und Lebensmittel ins Abwasser eingeleitet. Sie führen in Gewässern zu unerwünschtem Algenwachstum und können unter anderem ein Grund für die Eutrophierung (Kapitel 2.3) sein [58]. 2.2.3 Chemische Reinigungsstufe Ist keine biologische Phosphatelimination vorhanden oder reicht diese nicht aus, um die Einleitbedingungen zu erreichen, so kommt eine chemische Phosphatfällung oder eine Kombination beider Methoden in Frage. Dabei werden die gelösten Phosphate im Abwasser durch die Zugabe von Eisenoder Aluminiumsalzen in einen Feststoff umgewandelt [8]. Meist geschieht dies gleichzeitig mit der biologischen Reinigung im Belebtschlammbecken. 19 Schon gewusst? In den 60er – 80er Jahren war der Zustand der Schweizer Fliessgewässer in der Nähe von Siedlungsgebieten in einem sehr kritischen Zustand, aufgrund einer sehr hohen Belastung mit Phosphat. Das Phosphat wurde durch häusliches Abwasser (welches früher oftmals Phosphat aus Waschmittel enthielt), Düngemittel aus der Landwirtschaft und Industrieabwässern, in die Gewässer eingetragen. Dies verursachte immer wieder übermässiges Algenwachstum und führte zu Badeverboten. 1986 beschloss der Bundesrat daher als erste europäische Regierung ein Phosphatverbot für Textilwaschmittel. Das neue Gesetz und die Investition von Milliarden Franken in Bau und Erweiterung von Kläranlagen haben dazu geführt, dass sich die Gewässer bis heute grösstenteils erholen konnten. Nur einzelne Seen, wie z.B. der Hallwilersee im Kanton Aargau (Kapitel 2.2.3) haben nach wie vor mit einer erhöhten Nährstoffbelastung zu kämpfen [26]. Abbildung 20: Phosphatbelastung (g/l) verschiedener Schweizer Seen im Zeitraum von 1950 – bis 2014 [26]. 20 2.2.4 Nachklärung Im Anschluss an das Biologie -oder Belebtschlammbecken fliesst das Abwasser in das Nachklärbecken, wo die Fliessgeschwindigkeit stark verringert wird (Abbildung 21). Dadurch setzen sich die Bakterienflocken des Belebtschlammes und das ausgefällte Phosphat ab, werden im unteren Bereich des Beckens gesammelt und eingedickt. Ein Teil des Schlammes wird, zur Aufrechterhaltung des biologischen Abbauprozesses, in das Belebtschlammbecken zurückgeführt, der nicht benötigte Schlamm wird als Überschussschlamm, zusammen mit dem Primärschlamm, aus dem Vorklärbecken entfernt und in der Schlammbehandlung (Kapitel 2.2.6) weiterverarbeitet [8]. Abbildung 21: Schematische Darstellung Nachklärbecken [8]. Blähschlamm Das Absetzen des Belebtschlammes im Nachklärbecken ist ein sehr sensibler Prozess während der Abwasserbehandlung. Abhängig von der mikrobiologischen Zusammensetzung des Belebtschlammes verändern sich dessen Absetzeigenschaften. Vor allem wenn fadenförmige Bakterien einen Wachstumsvorteil haben und sich stark vermehren, setzt sich der Belebtschlamm nur noch sehr schlecht ab und wird als Blähschlamm bezeichnet. Ursachen für Blähschlamm sind häufig ein Mangel an Nährstoffen (Stickstoff und/oder Phosphat) und leicht abbaubaren gelösten Abwasserinhaltsstoffen. Eine solche Betriebsstörung führt zum Verlust von Biomasse und kann sehr kostenintensive Folgen haben. Behandlungsmöglichkeiten im Falle von Blähschlamm sind; die Zugabe von Fällmitteln, welche den Blähschlamm beschweren, eine kürzere Aufenthaltsdauer im Vorklärbecken, eine Zugabe von Nährstoffen oder sogar eine Änderung der Verfahrensführung [59]. Schwimmschlamm Im Nachklärbecken kann es auch zu einer Schlamm- und Schaumdecke kommen, die auf der Wasseroberfläche schwimmt. Grund für die Entwicklung eines solchen Schwimmschlammes ist; die Bildung von stark wasserabweisenden Stoffen, das Wachstum von Bakterien mit wasserabweisender Oberfläche im Reinigungsprozess oder ein erhöhter Zufluss von wasserabweisenden Stoffen im Abwasser. Auch bei dieser Betriebsstörung gewinnen Fadenbakterien die Oberhand. Zur Behandlung können Flockungsmittel zugegeben werden oder der Schlamm kann an der Oberfläche des Beckens abgezogen werden [60]. 21 Abbildung 22: Fadenförmige Bakterien im Belebtschlamm [5]. 22 2.2.5 Ozonung Obwohl über 97% der Abwässer in Kläranlagen behandelt werden und die Schweizer Abwasserbehandlung auf einem sehr hohen Niveau arbeitet, können Mikroverunreinigungen in vielen Gewässern nachgewiesen werden. Diese stammen unter anderem aus zahlreichen Produkten des täglichen Gebrauchs, wie Kosmetika, Reinigungsmitteln und Medikamenten (Kapitel 2.5.1). Herkömmliche Abwasserreinigungsanlagen sind auf die Entfernung von Feststoffen, abbaubaren organischen Stoffen und Nährstoffen ausgelegt. Mikroverunreinigungen werden meist nur ungenügend entfernt. In Zusammenarbeit mit der Forschung wurden in den letzten Jahren darum neue Systeme zur Eliminierung von Mikroverunreinigungen entwickelt, welche momentan zwei Verfahren umfassen: Ozonung und Aktivkohleadsorption. Die Ara Neugut wendet als erste Kläranlage in der Schweiz das Verfahren der Ozonung an. Das biologisch gereinigte Wasser gelangt nach dem Nachklärbecken in ein weiteres Becken, dem Ozonreaktor (Abbildung 23). Dort wird gasförmiges Ozon ins Wasser eingeleitet. Das Ozon wird vor Ort in einem Ozongenerator erzeugt. In der ARA Neugut wird Ozon aus Reinsauerstoff erzeugt; eine weitere Verfahrensvariante ist aber die Anreicherung von Sauerstoff aus der Luft [19]. Abbildung 23: Ablaufschema der Ozonung an der ARA Neugut [19]. Ozon besteht aus drei Sauerstoffmolekülen (Siehe auch 2.5.1 Mikroverunreinigungen). Die Konstellation des Moleküls führt dazu, dass es sehr reaktiv ist und so im Ozonreaktor mit einer Vielzahl an Mikroverunreinigungen reagiert (Abbildung 39). Dabei entstehen sogenannte Transformationsprodukte, welche in einer nachfolgenden Sandfiltration aus dem Wasser entfernt werden, bevor das Wasser in ein natürliches Gewässer eingeleitet wird. 2.2.6 Schlammbehandlung Energiegewinnung Bei der Aufbereitung von Abwasser fallen in der Vor- sowie der Nachklärung eine bedeutende Menge Schlamm an, der sogenannte Klärschlamm. Dieser Klärschlamm ist ein wertvolles Nebenprodukt von Kläranlagen, denn er ist Ausgangsstoff für die Gewinnung von Energie, Wärme oder Treibstoff für Gasfahrzeuge. 23 Um die Energie aus dem Klärschlamm zu nutzen, wird dieser entwässert und anschliessend im Faulturm verarbeitet. Im Faulturm herrschen anaerobe Bedingungen und eine Temperatur von 36 – 37 C. Diese Umgebung fördert eine optimale Zersetzung von organischen Substanzen durch bestimmte Bakterien. Der Prozess der Energiegewinnung durch Mikroorganismen, unter Ausschluss von Sauerstoff, wird als Gärung bezeichnet. In den Faultürmen von Kläranlagen ist die die ablaufende Gärung eine Methangärung. Der Gesamtablauf der Methangärung setzt sich aus mehreren Teilreaktionen zusammen, wobei bei jedem Schritt unterschiedliche, spezialisierte Mikroorganismen beteiligt sind. In einem ersten Schritt werden Eiweisse, Fette oder Kohlenhydrate, welche aus vielen gleichen Einheiten bestehen (Polymere) zu Oligomeren (mehrere gleiche Einheiten) und Monomeren (einzelne Einheiten) gespalten. In einer zweiten Phase werden die Oligo- und Monomere in einer Gärung weiter abgebaut, durch unterschiedlichen Bakterien und Hefen. Die Gärungsprodukte sind Alkohole und organische Säuren, als Nebenprodukte entstehen Kohlenstoffdioxid und Wasserstoff. Die dritte Abbauphase ist die Acetogenese, in der die Gärungsprodukte von acetogenen BakAbbildung 24: Methanbildung aus unterschiedlichen Ausgangsstofterien zu Essigsäure umgesetzt werden. In fen (Eigene Darstellung, angepasst nach [31]). der letzten Phase werden dann durch entsprechende spezialisierte Mikroorganismen die Essigsäure und das Kohlendioxid zu Methan und Nebenprodukten umgesetzt [61]. Während der beschriebenen Methangärung, welche zwei bis drei Wochen dauern kann, werden ca. 50 der organischen Substanz des Schlammes abgebaut [62]. Dem übrig bleibenden Schlamm wird in der Schlammentwässerung das Wasser entzogen, bei Bedarf wird er getrocknet und danach in Kehricht- und Schlammverbrennungsanlagen energetisch genutzt oder in der Zementindustrie als Brennstoff eingesetzt [63]. Vor allem kann aber das entstandene Methan als Energieträger vielseitig verwendet werden: Das Methan kann als Treibstoff für Gasfahrzeuge genutzt werden, es kann verbrannt werden und ist daher ein guter Heizstoff und mit dem Biogas kann Strom produziert werden. Dank dem produzierten Strom können ARAs 40 - 70 ihres Elektrizitätsverbrauchs selber decken. Falls ARAs über kurze Zeit einen Überschuss an Strom produzieren, kann dieser ins öffentliche Netz eingespeist werden [63]. 24 2.3 Eutrophierung: Wenn ein Gewässer aus dem Gleichgewicht gerät Verschiedene Gewässer weisen unterschiedliche Nährstoffgehalte auf (Abbildung 25). So bezeichnen oligotrophe Seen eher nährstoffarme Gewässer, d.h. es gibt nur wenige Algen und das Wasser ist relativ klar. Eutrophe Seen hingegen enthalten viele Nährstoffe, welche das Algenwachstum fördern und dadurch das Wasser trüben. Eine Eutrophierung bedeutet eine Zunahme an Nährstoffen in einem Gewässer, besonders an Phosphor- und Stickstoffverbindungen. Damit verbunden ist ein übermässiges Wachstum von Algen und Wasserpflanzen [18]. Diese Nährstoffe, gelangen über das Abwasser und über landwirtschaftliche Flächen (Düngung, Regen) in die Gewässer. In nährstoffarmen (oligotrophen) Seen erlaubt der geringe Gehalt an Nährstoffen nur ein bescheidenes Wachstum der Algen. Meist ist Phosphat der limitierende Faktor [18]. Neben den Algen, die sich an der Oberflächenschicht befinden, wachsen diese auch in mehreren Metern Wassertiefe. Ermöglicht wird dies weil das Licht durch das klare Wasser in die Tiefe dringt und den Algen somit die Fotosynthese auch in tieferen Schichten erlaubt. Die Algen und Pflanzen werden von Konsumenten (z.B. Fische) gefressen oder von Destruenten (z.B. verschiedene aerobe (sauerstoffliebende) Bakterien) abgebaut. Als Stoffwechselprodukte entstehen Mineralien (PO43-). Sowohl Konsumenten, wie auch Destruenten benötigen für den Abbau Sauerstoff. Weil das Algenwachstum nährstofflimitiert ist, reicht die Fotosynthese der Algen aus, damit Sauerstoff bis am Gewässerboden verfügbar ist. Fische können in der gesamten Wassertiefe leben [18]. In nährstoffreichen (eutrophen) Seen führt der hohe Nährstoffgehalt zu einem starken Wachstum der Algen. Diese bilden mehr Biomasse, als die KonsumenAbbildung 25: Nährstoffgehalt im See [18]. 25 ten und Destruenten fressen und abbauen können. Zudem verringert die Wassertrübung die Eindringtiefe des Lichts und begrenzt damit die maximale Tiefe, bei der Sauerstoff durch die Fotosynthese noch frei gesetzt werden kann. Ein Teil der Algen stirbt ab und sinkt in untere Schichten. Dort werden sie wiederum von Destruenten, unter Sauerstoffverbrauch, abgebaut. Dadurch sinkt der Sauerstoffgehalt in der unteren Schicht. Dieser Prozess wird durch warme Temperaturen im Sommer gefördert, welche eine Zirkulation des Wassers verhindern [18]. In Seen, die durch Einwirkung des Menschen stark eutrophiert sind, kann das Wachstum der Algen so hoch sein, dass der Abbau der anfallenden Biomassen den Sauerstoff im Tiefenwasser vollständig verbraucht. Anaerobe Bakterien (leben ohne Sauerstoff) bauen das organische Material durch Gärungsvorgänge unvollständig ab und produzieren Faulgase wie Schwefelwasserstoff, Ammoniak, und Methan, welche zum Teil giftig sind. Es bildet sich Faulschlamm. Unter anaeroben Bedingungen werden die Mineralien im Sediment wieder umgewandelt und gelangen in die obere Schicht, wo sie das Algenwachstum verstärken, was wiederum zu einer Algenblüte führen kann [18] (Abbildung 27). Der Sauerstoffmangel und die freigesetzten, giftigen Stoffe haben oft ein Fischsterben und einen üblen Geruch im betroffenen Gewässer zur Folge [18]. Schon gewusst? Der Hallwilersee im Kanton Aargau war jahrzehntelang mit zu vielen Nährstoffen belastet. Dies hat im Sommer immer wieder zur Algenblüte und zu Fischsterben geführt. Darum wird der See nun seit dem Jahre 1985 künstlich belüftet (Abbildung 26). Die Belüftungsanlage wird auf 45 Meter über Seegrund abgesenkt. Die künstliche Belüftung sowie die Reduzierung des Düngereinsatzes haben dazu geführt, dass der Phosphorgehalt heute 10 Mal tiefer liegt, als vor gut 30 Jahren [6]. Abbildung 27: Algenblüte [12]. Abbildung 26: Belitung Hallwilersee [6]. 26 2.4 Alternative biologische Prozesse 2.4.1 Betriebs-Varianten des Belebtschlammverfahrens Das konventionelle Belebtschlammverfahren besteht aus einem Belebungsbecken, in welchem Mikroorganismen in Flocken die biologische Reinigung übernehmen und einem darauffolgenden Nachklärbecken, wo die Flocken absinken. Alternativ zu diesem Durchlauf-System wurden andere Verfahrensvarianten zur Reinigung von Abwasser entwickelt. Diese werden im Folgenden kurz vorgestellt. MBR Verfahren Dieses Verfahren kombiniert die biologische Abwasserreinigung, mit der Membrantechnik, zu sogenannten Membran-Bioreaktoren (MBR). Beim MBR Verfahren werden, anstelle einer Nachklärung, Membranmodule eingesetzt, zur Trennung des Belebtschlammes vom gereinigten Abwasser. Die eingesetzten Membranen haben eine Porengrösse von weniger als 0.4 m (0.0004 mm). Damit können partikuläre Stoffe, gewisse gelöste Stoffe und sogar ein Teil der Bakterien und Viren aus dem Abwasser gefiltert werden [64]. Abbildung 28: Struktur einer Mikrofiltrationsmembran, 2837 vergrössert [64]. Die Membraneinheit kann sowohl im Belebtschlammbecken integriert, in einem externen Filtrationsbecken nachgeschaltet, oder extern aufgestellt werden. Im letzteren Falle wird das Wasser nach dem Belebungsbecken von unten in das externe Membranmodul eingeleitet (Abbildung 29). Vorteile des MBR Verfahrens sind vor allem, eine erhöhte Effizienz zur Trennung des Belebtschlammes vom gereinigten Abwasser und ein geringerer Platzbedarf [64]. Abbildung 29: MBR Verfahren mit nachgeschaltetem externem Membranmodul [65]. 27 SBR Verfahren Hinter dem Kürzel SBR verbirgt sich die englischsprachige Wortfolge „Sequencing Batch Reactor. Ins Deutsche übersetzt, bedeutet dies „Sequenzielles biologisches Reinigungsverfahren. Der Unterschied zum konventionellen Durchlauf-Verfahren liegt darin, dass die aufeinanderfolgenden Schritte nicht in mehreren getrennten Reaktionsräumen stattfinden, sondern in einer zeitlichen Abfolge, im selben Behälter ablaufen. Das vorbehandelte Abwasser (Rechen, Sand- und Fettfang) wird in das SBR Becken gefüllt. Die erste Prozessphase ist die Mischphase, welche aufgrund anoxischer Bedingungen, die Denitrifikation fördert. Im Anschluss folgt die Belüftungsphase. In diesem Schritt werden aerobe Bedingungen generiert, die den Kohlenstoffabbau, die Nitrifikation und eine Aufnahme von Phosphat ermöglichen. Auf die Belüftungsphase folgt die Sedimentationsphase. Die Belebtschlammflocken sinken auf den Beckenboden und werden abgezogen. Als letzte Phase folgt die Leerphase. In dieser Phase wird das Klärwasser, das sich über dem sedimentierten Belebtschlamm gebildet hat, abgesogen [66]. Abbildung 30: Schema des SBR Verfahrens. (abgeändert aus [24]). Vorteil dieses Verfahrens ist, dass das Nachklärbecken nicht mehr benötigt wird, die Phasen flexibel gesteuert werden können und dass der Belebtschlamm besser sedimentiert. Zudem ist der Energieverbrauch geringer und es wird keine Rücklaufschlammförderung benötigt. Nachteile sind die aufwendige Steuerung und zusätzliche Ausrüstung, sowie dass sich bei Regenwetter die Behandlungszeit, aufgrund erhöhter Abwassermengen, verkürzt [66], wodurch gegebenenfalls unzureichend geklärtes Abwasser in natürliche Gewässer abgegeben werden muss. 28 A/I Verfahren Dieses Verfahren funktioniert sehr ähnlich wie das konventionelle Belebtschlammverfahren. Der Unterschied besteht aber in den zwei parallel betriebenen Belebtschlammbecken. Diese ermöglichen einen optimalen Abbau von Stickstoff, durch die alternierende Umstellung von Belüftung und Rühren. Die Begriffe, die diesem Verfahren zugrunde liegen sind; für alternierende Beschickung (Zuführung von Abwasser) und für intermittierende (unterbrochene) Belüftung. Vorteile dieses Verfahrens sind ein geringer Energieverbrauch und eine bessere Denitrifikation, durch flexible Belüftungszeit [33]. Abbildung 31: Schematische Darstellung der biologischen Reinigungsstufe mittels A/I Verfahren. Im Belebungsbecken wird der linke Teil des Beckens mit einem Mischer (M) gerührt, der rechte Teil des Beckens wird belüftet [33]. 29 2.4.2 Effizienzsteigerung durch Oberflächenvergrösserung In der biologischen Reinigung bewährt, haben sich auch unterschiedliche Systeme, welche eine grosse Oberfläche für die Bildung von Biofilmen bilden und somit die Reinigungsleistung erhöhen. Gleichzeitig sind die Bakterien im Belebtschlammbecken immobilisiert, womit der Schritt der Sedimentation wegfällt. Das Trägermaterial, welches den Mikroorganismen als Oberfläche für den Biofilmbewuchs dient, kann frei schwebend [32] (Wirbelbett-Reaktor, Abbildung 34), fest installiert [30] (Festbett-Reaktor, Abbildung 32) oder rotierend sein [29] (Rotationskörper, Abbildung 33). Beim Wirbelbett und beim Festbett wird für eine ausreichende Sauerstoffzufuhr Luft von unten in den Reaktor zugeführt. Beim Rotationskörper wird der Biofilm durch die Rotation mit Nährstoffen und Sauerstoff versorgt [30]. Abbildung 32: Trägermaterialien, welche in Festbett-Reaktoren eingesetzt werden [30]. Abbildung 34: Trägermaterialien, welche in Wirbelbett-Reaktoren eingesetzt werden. Eine Strömung im Reaktor sorgt dafür, dass die Materialien in Bewegung gehalten werden und nicht absinken [32]. Abbildung 33: Rotationstauchkörper als Trägermaterial [29]. 30 2.4.3 Einstufige Stickstoff-Elimination: Eine mögliche Optimierung der Abwasserreinigung In den 1990 Jahren haben Wissenschaftler aus der Schweiz und aus Holland, einen neuen Weg zur Entfernung von Stickstoff im Abwasser entdeckt: Die anaerobe Ammonium Oxidation durch Anammox-Bakterien [67]. Diese Reaktion konnte beobachtet werden, sowohl bei den Süsswasserbakterien Brocadia anammoxidans und bei Kuenenia stuttgartiensis, wie auch beim Salzwasserbakterium Scalindua sorokinii. Alle drei Bakterienarten können zur Energiegewinnung Ammonium (NH4) ohne zusätzliche Kohlenstoffquelle, zu unschädlichem, gasförmigen Stickstoff oxidieren (N2). Damit der Prozess funktioniert, muss zuerst ein Teil des Ammoniums mit Sauerstoff zu Nitrit (NO2-) oxidiert werden. Anschliessend können Anammox Bakterien das Nitrit und das restliche Ammonium, unter anaeroben Bedingungen, zu gasförmigem Stickstoff oxidieren. Im Vergleich zum ursprünglichen Nitrifikation/Denitrifikations-Prozess, benötigt dieser neue Prozess weniger Sauerstoff für die Belüftung und keine organische Kohlenstoffquelle. Dieses neue Verfahren spart Energie, vor allem weil der Prozess etwa die Hälfte an Belüftung benötigt, im Vergleich zum herkömmlichen Verfahren [68]. Abbildung 35: A) Ablauf des herkömmlichen Nitrifikations/Denitrifikations Verfahrens im Vergleich zum B) neu entwickelten Anammox Verfahren [25]. Im Jahr 2006 wurde im technischen Massstab bestätigt, dass sich der Umwandlungsprozess von Ammonium in gasförmigen Stickstoff, auch in einem Reaktor realisieren lässt. Dies wird ermöglicht durch die natürliche Lebensweise von Bakterien in Biofilmen und Flocken, wobei an der Oberfläche Sauerstoff vorhanden ist und das Innere des Flockens/des Biofilms sauerstofffrei ist. Damit kann, an der Oberfläche, die Reaktion von Ammonium und Sauerstoff zu Nitrit stattfinden, während das Biofilmoder Flockeninnere, eine optimale Umgebung bildet, für die Umwandlung von Ammonium zu gasförmigem Stickstoff, durch anaerobe Anammox Bakterien (Abbildung 36). Dies bringt den grossen Vorteil mit sich, dass in einer Kläranlage, für diesen Prozess, nur noch ein Becken benötigt würde. Abbildung 36: Aerobes und anaerobes Mikroklima in einem Biofilm oder einem Belebtschlammflocken, graphisch dargestellt [25] A) und aufgenommen mit einem Fluoreszenzmikroskop [34] B) C). Auf der Oberfläche sind in Grün, die Ammonium oxidierenden Bakterien zu finden, im anaeroben Inneren sieht man rot fluoreszierend die Anammox Bakterien. 31 Das Anammox Verfahren wird an der Eawag, dem Wasserforschungsinstitut der ETH (Eidgenössische technische Hochschule) Zürich und anderen Forschungsinstitutionen weiterentwickelt und untersucht. Heute wird es im Vollmassstab erst zur Entstickung von Faulwasser (d.h. der flüssige Überstand nach der Feststoffabtrennung des Schlamms, nach der Vergärung). Die technische Lösung, um diese Bakterien für die Reinigung von kommunalem Abwasser einzusetzen, ist noch nicht ausgereift, scheint aber gemäss laufenden Laborversuche nicht unmöglich [25]. 32 2.5 Neue Herausforderungen für ARAs in der Schweiz 2.5.1 Mikroverunreinigungen: Der nächste Quantensprung in der Abwasserreinigung Durch neue analytische Methoden können chemische Stoffe in sehr kleinen Konzentrationen gemessen werden. Die Anwendung dieser Methoden zur Beurteilung der Gewässer hat vielerorts erhöhte Belastungen mit Mikroverunreinigungen zu Tage gefördert: die gemessenen Werte überschreiten oftmals Konzentrationen, welche im Labor, als schädlich für aquatische Lebewesen, bestätigt werden konnten. Durch die Zusammenarbeit von Forschung, Bund und Praxis wurden darum neue und angepasste technische Verfahren entwickelt, um Mikroverunreinigungen aus dem Abwasser zu entfernen. Unter Mikroverunreinigungen versteht man organische Substanzen, welche in den Gewässern in sehr kleinen Konzentrationen vorkommen und die bereits in so tiefen Konzentrationen den Ablauf grundlegender biochemischer Prozesse in der Natur beeinflussen können. Auch wenn Mikroverunreinigungen in Gewässern nur in sehr kleinen Konzentrationen vorkommen, können sie negativ auf Wasserlebewesen einwirken und die Gewässer, als Ressource für die Trinkwassergewinnung, belasten [69]. Typische Konzentrationen von Mikroverunreinigungen liegen im Bereich von wenigen Nano- bis Mikrogramm pro Liter. Zum Beispiel entspricht eine Konzentration von 100 Nanogramm pro Liter, der Konzentration des Wirkstoffs einer Kopfschmerztablette (500mg Paracetamol), aufgelöst in zwei olympischen Schwimmbecken (5 Millionen Liter) [4]. Im Abwasser enthaltene Mikroverunreinigungen können in Kläranlagen häufig nicht oder nur unvollständig eliminiert werden. Das heisst, dass der grösste Teil an Mikroverunreinigungen aus dem Abwasser in natürliche Gewässer gelangt. Ein Eintrag von Mikroverunreinigungen in die Umwelt geschieht zumeist über kommunales und industrielles Abwasser, aber auch über „diffuse Quellen. Aus Haushalten gelangen vor allem Medikamentenrückstände (z.B. Hormone), Inhaltsstoffe von Körperpflegeprodukten (z.B. Kosmetika), Lebensmittelzusatzstoffe (z.B. Süssstoffe) und Reinigungsmittel, in das Abwasser. Als diffuse Einträge wird die Verschmutzung von Gewässern, über direktes Versickern oder Abfliessen von Wasser mit Mikroverunreinigungen in Flüsse und Seen, bezeichAbbildung 37: Verteilung von Gülle auf Landwirtschaftsflächen [14]. net. Vor allem aus der Landwirtschaft gelangt eine Vielzahl von Mikroverunreinigungen in die Oberflächengewässer, wie zum Beispiel Pestizide (Herbizide, Insektizide, Fungizide). Pestizide zeigen nicht nur eine Wirkung gegen Unkraut, Insekten und Pilze, sondern entfalten ihre Wirkung auch ausserhalb ihres geplanten Einsatzgebietes und können so Organismen in der Umwelt schädigen. Auch aus der Nutztierhaltung gelangen unterschiedliche Mikroverunreinigungen über den Hofdünger, der auf Ackerland und Grasland ausgetragen wird, in die Gewässer. Beispiele für Mikroverunreinigungen, die in diesem Bereich anfallen sind Tierarzneimittel (z.B. Antibiotika), Biozide (Wirkstoffe 33 für die Hygiene, zur Reinigung und Desinfektion), Hormone, aber auch Schwermetalle. Regenereignisse können diesen Eintrag aus der Landwirtschaft zusätzlich erhöhen [70]. Zur Entfernung von Mikroverunreinigungen im Abwasser, stehen momentan zwei Verfahren im Vordergrund. Zum einen ist dies die chemische Oxidation von Mikroverunreinigungen mit Ozon, zum anderen die Bindung der Schadstoffe an Aktivkohle. Forschungsergebnisse aus dem Labor wurden in Zusammenarbeit mit der Eawag (Wasserforschungsinstitut der ETH), mittels Pilotanlagen, in der Praxis getestet. Im Jahre 2014/2015 wurde das Verfahren der Ozonung, erstmals als fester Bestandteil einer Kläranlage, eingebaut. Es werden weitere Aufrüstungen von Kläranlagen folgen, aufgrund des Anfangs Januar 2016 in Kraft getretene revidierten Gewässerschutzgesetzes, welches die Bestimmung beinhaltet, dass grosse und bestimmte mittelgrosse ARAs, eine Reduktion der Mikroverunreinigungen um mindestens 80% erreichen müssen. Dies erfordert die Aufrüstung von rund 100 Kläranlagen in der Schweiz, mit Ozonungsanlagen und/oder dem Aktivkohleverfahren [69]. Inaktivierung von Mikroverunreinigungen durch Veränderung der chemischen Struktur Ozon ist bei Raumtemperatur gasförmig und besteht aus drei Sauerstoffmolekülen. Charakteristisch für Ozon ist eine stark reaktive Wirkung. Kohlenstoff-Doppelbindungen und spezifische funktionelle Gruppen (deprotonierte Amine und aktivierte Aromaten), wie sie in Mikroverunreinigungen oft enthalten sind, werden sehr effizient oxidiert [71]. Abbildung 38: Beispiele für Angriffsstellen von Ozon an Pharmazeutika [71]. Ein Teil des Ozons zerfällt im Wasser in sogenannte Hydroxyl-Radikale (•OH), die auch eine starke oxidative Wirkung haben. Sie reagieren, verglichen mit dem Ozon, aber eher unspezifisch mit den meisten Substanzen [72]. Durch die Einwirkung von Ozon und den Hydroxyl-Radikalen werden zahlreiche Mikroverunreinigungen auf molekularer Ebene verändert, womit sie ihre spezifische biologische Wirkung verlieren [72]. Abbildung 39: Schematische Darstellung der Entfernung von Mikroverunreinigungen mittels Ozon. Nachgeklärtes Abwasser enthält Mikroverunreinigungen Bei einer Behandlung des Abwassers mit Ozon, reagiert das reaktive Gas, mit den Mikroverunreinigungen und baut diese ab (eigene Darstellung). 34 Die Umwandlungsprodukte oder auch Transformationsprodukte genannt, sollten in der Regel auch unbedenklich sein. Allerdings sind diese weitestgehend unbekannt. Nachgewiesen ist, dass zu einem geringen Anteil auch reaktive Stoffe gebildet werden. Diese können aber durch eine zusätzliche Nachbehandlung relativ leicht abgebaut werden. Eine Möglichkeit für die Nachbehandlung ist ein Sandfilter, wie am Beispiel der ARA Neugut gezeigt. Eine besondere Herausforderung bei diesem Verfahren stellt die Dosierung des Ozons dar. Wird zu wenig Ozon ins Abwasser gegeben, sinkt die Wirksamkeit der Ozonung, zu viel Ozon wiederum erhöht den Energieverbrauch für die Produktion vor Ort und führt zu hohen Kosten sowie einer Erhöhung an unerwünschten Nebenprodukten. Das Verfahren der Ozonung eignet sich aber nicht für alle Abwässer. Enthält das Abwasser einen hohen Anteil an Industrie- und Gewerbeabwasser, so ist unter Umständen viel Bromid enthalten. Dieses reagiert mit Ozon zu Bromat, welches potenziell krebserregend ist. In einem solchen Fall gilt die Ozonung nicht als geeignetes Verfahren und die Anwendung von Pulveraktivkohle stellt die bessere Alternative dar [71]. Bindung von Mikroverunreinigungen an Aktivkohle Aktivkohle hat eine sehr poröse Struktur und bildet somit eine grosse Oberfläche. An dieser Oberfläche lagern sich viele Stoffe aufgrund ihrer physikalisch-chemischen Eigenschaften an (Abbildung 40). Durch Abtrennung der Aktivkohle lassen sich damit mehr als 80% der untersuchten Mikroverunreinigungen aus dem Abwasser entfernen [73]. Die Aktivkohle kann regeneriert werden und sollte daher über mehrere Jahre verwendet werden können. Abbildung 40: Schematische Darstellung der Entfernung von Mikroverunreinigungen mittels Pulveraktivkohle. Nachgeklärtes Abwasser enthält Mikroverunreinigungen Bei einer Behandlung des Abwassers mit Aktivkohle, binden sich die Mikroschadstoffe an deren Oberfläche und können so grösstenteils aus dem Abwasser entfernt werden (angepasst nach [23]). In der Abwasseraufbereitung kommt Aktivkohle vor in Form von Granulat oder Pulver. Pulveraktivkohle kann dem Abwasser direkt hinzugegeben werden, braucht aber ein separates Becken, damit sich die Pulveraktivkohle wieder vom gereinigten Abwasser trennen lässt. Verschiedene platzsparende Lösungsansätze, wie zum Beispiel eine Anwendung der Pulveraktivkohle direkt im Belebtschlammbecken, werden zur Zeit analysiert [69]. Granulierte Aktivkohle wird eingesetzt in Form von Filtern, durch welche das Abwasser strömt. 35 Schon gewusst? Zürich hat die Nase vorn und vermag mit Metropolen wie London und Amsterdam mitzuhalten, was den Konsum der Mikroverunreinigung Kokain betrifft. Das zeigt eine Studie, die 47 Kläranlagen in 42 Städten analysiert hat [28]. Ein Problem stellen aber nicht nur illegal konsumierte Substanzen dar, sondern auch viele andere biologisch aktive Stoffe, wie beispielsweise Arzneistoffe. Ein Medikament, welches sehr oft in Abwässern von ARAs gefunden wird, ist Diclofenac, die Basis zahlreicher Schmerzmittel und Entzündungshemmer. Nach Einnahme verlassen 70% des Medikamentes den menschlichen Körper unverändert. Schon sehr tiefe Konzentrationen führen jedoch bei Forellen zu Nierenschäden [28]. Eine weitere Mikroverunreinigung, welche den Forellenbestand gefährdet, ist die Antibabypille, welche zur Verweiblichung männlicher Forellen und damit zu weniger Nachkommen führt. In der Schweiz ist seit den frühen 1980er Jahren der Forellenbestand um mehr als 60 zurückgegangen [35]. Als eine der möglichen Ursachen wird die Akkumulierung von Mikroverunreinigun- Abbildung 41: Regenbogenforelle [7]. gen im Wasser untersucht. 36 2.5.2 Antibiotika: Segen und Risiken Die Entwicklung von Antibiotika zählt zu den bedeutendsten Fortschritten der modernen Medizin und ist aus der heutigen Welt nicht mehr wegzudenken. Vergleicht man die Hauptursachen für Todesfälle in den USA im Jahre 1900 mit dem Jahre 2000, fällt auf, dass Todesfälle durch Infektionskrankheiten stark abgenommen haben (Abbildung 42). Hauptgrund dafür sind die Entwicklung von Antibiotika, Impfungen und eine bessere Hygiene. Abbildung 42: Hauptursachen für Todesfälle in den USA in den Jahren 1900 und 2000. Rote Balken zeigen Todesfälle verursacht durch Infektionskrankheiten, grüne Balken stehen für andere Todesursachen [74]. Antibiotika hemmen mikrobielles Wachstum oder lassen Mikroben absterben, indem sie verschiedene zelluläre Mechanismen angreifen. Bakterien haben wiederum verschiedene Strategien gefunden, um die Wirksamkeit von Antibiotika zu reduzieren oder ganz zu verhindern. Bei jedem Antibiotikum ist es daher nur eine Frage der Zeit, bis durch Evolutionsprozesse in Bakterien eine Resistenz dagegen auftritt (Abbildung 43). Die ersten Berichte über resistente Erreger folgen typischerweise schon wenige Jahre nach der Markteinführung neuer Antibiotika. Und weil Antibiotika übermässig und teilweise unsachgemäss eingesetzt werden, erhöht sich der Selektionsdruck und die Entstehung von Resistenzen wird zusätzlich beschleunigt. Die Entstehung einer Resistenz kann über zufällige Mutationen des Genoms erfolgen und dann über die Zellteilung der Bakterien an die nächste Generation weitergegeben werden. Besonders wenn die Umgebung stark mit Antibiotika belastet ist, haben resistente Mutanten, gegenüber nicht resistenten Bakterien, einen grossen Vorteil durch ihre verbesserte Überlebenswahrscheinlichkeit, in Gegenwart eines Antibiotikums. Dies fördert eine Verbreitung der Resistenz durch natürliche Selektion und ein Aussterben von weniger erfolgreichen Varianten. 37 Abbildung 43: Zufällige Entstehung von resistenten Mutanten (gelber Kreis) in einer natürlichen Population (grüne Kreise). Selektion, wiederholte Mutation (orange/rote Kreise) und Verbreitung der angepassten Mutanten, durch evolutionären Druck, wie z.B. Anwendung von Antibiotika, führen zu einer Populations-veränderung (angepasst nach [3]). Eine Verbreitung der Antibiotikaresistenz erfolgt aber nicht nur über Zellteilung der resistenten Bakterien, sondern auch über genetische Rekombination. Dies bedeutet die Aufnahme von genetischem Material in eine lebende Zelle. Die Weitergabe von Antibiotikaresistenzgenen, durch genetische Rekombination, ermöglicht eine sehr schnelle Anpassung an die Umwelt. Abbildung 44: Mechanismen der genetischen Rekombination bei Bakterien [75]. 38 Bei der genetischen Rekombination werden drei verschiedene Prozesse unterschieden (Abbildung 44): Die Transformation bezeichnet die Aufnahme fremder DNS aus der Umgebung. Das fremde DNS-Stück wird in das Bakterienchromosom eingebaut und ersetzt dort die ursprüngliche Genominformation für das jeweilige Merkmal (Rekombination). Bei dem als Transduktion bekannten Rekombinationsmechanismus transferieren Bakteriophagen genannte Viren, Gene von einer Wirtszelle auf die andere. Ein dritter Mechanismus zur Aufnahme fremder Gene ist die Konjugation. Der direkte Transfer genetischen Materials, zwischen zwei Bakterienzellen, die sich vorübergehend verbunden haben über einen Sex-Pili [76]. Abwasser ist oft stark belastet mit Antibiotika. Besonders Abwasser aus Tierzuchtbetrieben und der pharmazeutischen Industrie enthalten hohe Konzentrationen verschiedener Antibiotika. Das bedeutet, dass der Druck einer Selektion von Antibiotika resistenten Bakterien sehr gross ist, sowohl im Abwasser, als auch in der Kläranlage selber. Dies kann die genetische Rekombination zwischen Bakterien fördern und damit zur Ausbreitung von antibiotikaresistenten Bakterien und ihrer Resistenzgene in der Umwelt führen [77]. Die Verbreitung von Antibiotikaresistenzen über Abwasser ist aber gegenwärtig ein junges Gebiet und es besteht noch keine komplette Übersicht, welches die wichtigen Pfade sind. Sicher ist das Spitäler, sowie der landwirtschaftliche Einsatz von Antibiotika, zur Verbreitung multipler Resistenzen bedeutend beitragen. Abbildung 45: Hotspot Abwasserreinigungsanlage (angepasst nach [3]). Eine Untersuchung von 21 schweizer Seen an der Eawag (Wasserforschungsinstitut der ETH) zeigt einen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von Resistenzgenen und dem Einfluss des Menschen, bzw. von Kläranlagen, auf das Gewässer. [78]. Eine andere Studie ermittelte die Belastung mit Resistenzgenen in Abwässern der Stadt Lausanne und konnte zeigen, dass in der Nähe der Abwassereinleitung die Zahl der Resistenzgene im Wasser und in Sedimentablagerungen erhöht ist. Diese Studien geben einen Hinweis darauf, dass Resistenzen während der Aufbereitung in der Kläranlage, angereichert werden können [79, 80]. Auch Krankheitserreger sind natürlicherweise in der Umwelt vorhanden oder werden durch Menschen, in natürliche Gewässer eingetragen. Durch die Freisetzung von resistenten Bakterien und der Fähigkeit von Bakterien, zur genetischen Rekombination, erhöht sich damit auch das Risiko der Ausbreitung und Neubildung von Resistenzen unter Krankheitserregern. Darum muss, wo immer möglich, versucht werden, Barrieren einzurichten. Auf einer Seite sollte versucht werden, weniger Antibiotika ins Wasser einzutragen. Dies kann erreicht werden durch optimierte Betriebsabläufe in der Tierhaltung, sachgemässem Antibiotikaeinsatz und z.B. lokale Abwasserbehan