Arbeitsblatt: Herero Aufstand Textdokument

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Geschichte
Neuzeit
9. Schuljahr
3 Seiten

Statistik

193567
681
5
16.02.2020

Autor/in

Christian Büchi
Land: Schweiz
Registriert vor 2006

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Textauszüge aus dem Inhalt:

Genozid? Lange galt es als ausgemacht, dass die deutschen Massenmorde in den Kolonien Westafrikas ein Auftakt zum Genozid an den Juden gewesen seien. Neuere Forschungen stellen das infrage. Gefangene Hereros in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika. (Bild: Ullstein) Zum Jahresbeginn 1904 bemerkten viele deutsche Siedler in Deutsch-Südwestafrika seltsame Veränderungen bei ihren schwarzen Hausangestellten. Manche verschwanden ohne Vorankündigung über Nacht. Andere warnten die Frauen der Siedler, ein schrecklicher Krieg werde kommen. Ausserhalb der weissen Siedlungen wurden waffenstarrende Herero-Kommandos beobachtet, die emotionsgeladene Versammlungen abhielten. Missionare, die der Sache auf den Grund gehen wollten, wurden mit Ausflüchten abgespeist. Der Herero-Aufstand brach dann in Okahandja, nördlich von Windhoek, aus. Er verwüstete zahllose Farmen und kostete viele weisse Farmer und Händler das Leben. Für die Herero hatte er noch schlimmere Folgen: Nach einer Serie von Niederlagen der Deutschen ersetzte die Regierung in Berlin den Gouverneur der Kolonie durch den Hardliner Oberstleutnant Lothar von Trotha. Er trat an, den Aufstand im Blut zu ersticken. Die rücksichtslose Unterdrückung der Aufstände beendete eine jahrzehntelange Ära deutscher Kolonialpolitik, in der Berlin versucht hatte, den deutschen Einfluss in Afrika schrittweise und in Koalitionen mit einheimischen Völkerschaften auszudehnen. Deutschland war spät als Kolonialmacht auf der Weltbühne erschienen. Das Reich war erst 1871 entstanden, und die deutschen Fürstenhäuser zuvor hatten nur geringe Ambitionen und Mittel für koloniale Abenteuer gehabt. Erst nach dem Sturz Bismarcks – der gegen den Erwerb von Kolonien gewesen war – wurde das Deutsche Reich zu einer richtigen Kolonialmacht. Schon 1915 wurden die meisten deutschen Kolonien in Afrika von den Kräften benachbarter britischer und französischer Kolonien überrannt. Windhoek Swakopmund Lüderitz Kapstadt 500 km Mapbox OpenStreetMap Von Trotha hatte seine Kriegserfahrung in China und Ostafrika erworben. Die Farmer und viele der Offiziere hatten ein Interesse daran, die Herero als eigenständiges Volk zu erhalten, um mit ihnen Handel und Viehzucht zu treiben. Doch von Trotha plante eine «Vernichtungsschlacht». Sie endete in einem Fiasko für alle Beteiligten. Die Herero, die sich auf das wasserreiche WaterbergPlateau zurückgezogen hatten, hofften auf Verhandlungen. Doch sie wurden umzingelt. Es gelang ihnen, eine Einheit der deutschen Kolonialtruppen zu überrennen und sich in die britische Kolonie Betschuanaland (das heutige Botswana) abzusetzen. Samuel Maharero, ihr oberster Kommandant, hatte für diesen Fall bereits vor dem Aufstand bei den Briten politisches Asyl für seine Leute ausgehandelt. Um dahin zu gelangen, mussten die Herero die Omaheke-Wüste durchqueren. Sie erreichten ihr Asyl, stark dezimiert durch Hunger, Durst und Krankheiten. Ihre Rinder waren unterwegs verdurstet. Gescheiterte Vernichtung Um das sich abzeichnende Scheitern seiner «Vernichtungsstrategie» vor Kaiser und Regierung zu verschleiern, jagte von Trotha seine Truppen den Herero hinterher. Doch von Durst, Pferdeverlusten und Krankheiten schwer in Mitleidenschaft gezogen, musste die Schutztruppe umkehren. Jetzt befahl von Trotha grossspurig, die Wüste «abzuriegeln», die Wasserstellen zu besetzen, Frauen und Kinder mit Schüssen vom Wasser zu vertreiben und alle bewaffneten Herero zu erschiessen. Das rücksichtslose Vorgehen war ganz im Sinne der Heeresleitung in Berlin, welche die Herero ebenfalls vernichten wollte. Aber es erzürnte die sozialdemokratische Opposition im Reichstag und Teile der deutschen Öffentlichkeit. Zwei Monate später zwang Reichskanzler Bernhard von Bülow den Oberstleutnant zur Rücknahme des Befehls. Ausgeführt werden konnte er ohnehin nie: Die Truppe kannte weder die Wasserstellen, noch war sie zahlreich genug, um das Gebiet abzusperren. Manche Offiziere, die von Trotha als Karrieristen und Aussenseiter verachteten, befürchteten Meutereien der durch Krankheit dezimierten Soldaten. Für die Kolonie war der Feldzug eine Katastrophe. Bis dahin hatten die Nama, ein Volk von Kleintierhaltern aus dem Süden der Kolonie, den deutschen Truppen die Stange gehalten. Doch kaum hatte von Trotha in der Wüste seinen «Vernichtungsbefehl» verkündet, erklärten die Nama den Krieg und zwangen ihn, seine Truppe aufzuteilen. Die Nama gaben den Deutschen aber keine Gelegenheit zu einer Entscheidungsschlacht, sondern verwickelten sie in einen erbarmungslosen Partisanenkrieg. Nach drei Jahren waren etwa 80 Prozent der Herero und 50 Prozent der Nama aus der Kolonie verschwunden: Sie waren im Kampf gefallen, in britisch regiertes Gebiet geflüchtet, auf der Flucht verhungert oder an Krankheiten zugrunde gegangen. Manche von ihnen waren auch in Lagern gestorben, die von der Schutztruppe eingerichtet worden waren. Nach der Rücknahme des «Vernichtungsbefehls» musste die Schutztruppe Gefangene machen. So entstand ein System von Internierungs- und Arbeitslagern, das auch auf die Nama ausgedehnt wurde. Statt als freie Viehzüchter sollten Nama und Herero dort als Zwangsarbeiter für die deutsche Kolonie arbeiten. Auf der Haifischinsel bei Lüderitzbucht starb fast die Hälfte der 1700 Gefangenen an Skorbut und damit eines langsamen Todes. Die Haifischinsel wurde zu einem Symbol für die Unmenschlichkeit des gesamten Lagersystems, obwohl die Sterberaten in den anderen Lagern selten über 5 Prozent lagen. Nach 1907, als der Kaiser den Kriegszustand für die Kolonie aufgehoben hatte, wurden die überlebenden Gefangenen freigelassen. Doch von den einstmals straff organisierten Stammesverbänden der Herero und Nama war nun nichts mehr übrig. Die überlebenden, entwurzelten Gruppen machten die Kolonie unsicher, indem sie den Buschleuten ihre Jagdgründe streitig machten und entlegene Farmen überfielen. Mit der Ermordung und Vertreibung seiner Gegner hatte Deutschland seine Kolonie unsicherer gemacht als je zuvor. Die verängstigten Siedler protestierten gegen die Freilassung der Kriegsgefangenen. Mit der Deportation von potenziellen Rädelsführern in andere deutsche Kolonien versuchte die Kolonialverwaltung die Stimmung zu beruhigen. Als 1908 bei Lüderitzbucht Diamanten entdeckt wurden, fehlte es jahrelang an einheimischen Arbeitskräften, um sie zu fördern. Deportation als Völkermord Unter Historikern sind die Ereignisse von damals unstrittig. Aber sie werden kontrovers interpretiert: Für DDR-Historiker waren Nama- und Herero-Kriege ein antikolonialer Kampf unterdrückter Afrikaner gegen den deutschen Imperialismus – obwohl sie zu unterschiedlichen Zeiten mit den deutschen Truppen gemeinsame Sache gegen andere einheimische Gruppen gemacht hatten. Auch wirtschaftlich brachte das Kolonialabenteuer Deutschland nie etwas ein. Trotz den Diamantenfunden blieb die Kolonie ein Zuschussgeschäft für Berlin, bis sie 1915 von südafrikanischen Truppen überrannt wurde. Manche Historiker sehen in dem «Vernichtungsbefehl», den Massakern und im Lagersystem Vorboten des «Dritten Reiches» und Deutsch-Südwestafrika als Inspirationsquelle für die Nazis. Doch Hitlers Machtergreifung führte zur Marginalisierung der kolonialen Lobby. Ihre Vereine wurden gleichgeschaltet, ihre Propaganda zensiert und ihre Vertreter entmachtet. Hitler wollte Osteuropa erobern und Südafrika neutralisieren, an Südwestafrika war er nicht interessiert. Als Kronzeuge für die angebliche Verbindung zwischen «Drittem Reich» und KolonialNostalgiker wird meist der ehemalige Schutztruppenoffizier, spätere Freikorps-Kommandant und Chef des Kolonialpolitischen Amtes, Franz Ritter von Epp, angeführt. Anders als viele andere Schutztruppler, die sich in Freikorps verdingten, in die SA eintraten und den Säuberungen von 1934 zum Opfer fielen, konnte von Epp seine Karriere auch unter den Nazis fortsetzen. Allerdings verlor auch er durch die Machtergreifung jeden Einfluss auf die Aussenpolitik. Er arbeitete die meiste Zeit ehrenamtlich und musste 1943 zusehen, wie seine Behörde sangund klanglos von Hitlers Stellvertreter Martin Bormann abgewickelt wurde. Auch Hermann Göring, Oberkommandierender der Luftwaffe unter Hitler, muss oft als Bindeglied zwischen Kolonialismus und «Drittem Reich» herhalten. Sein Vater Ernst Heinrich war erster Gouverneur von Deutsch-Südwestafrika gewesen. Doch die Görings waren, wie man heute sagen würde, ein extremer Fall einer Patchwork-Familie. Hermann wuchs bei einem (jüdischen) Stiefvater auf und hatte keinerlei Kontakt zu seinem Vater. Er interessierte sich auch nie für Kolonialismus, sondern nur für Flugzeuge. Im heutigen Namibia spielt das Gedenken an die damalige Zeit eine untergeordnete Rolle. Die South-West African Peoples Organisation (Swapo), die das Land regiert, ist dominiert von den Ovambo, die den bewaffneten Kampf um die Befreiung (1960– 1989) anführten. Sie fochten gegen südafrikanische Truppen, mit Deutschland haben sie keine offenen Rechnungen. Noch immer gibt es in Lüderitz eine Göring-Strasse (benannt nach dem Gouverneur, nicht nach dem Kriegsverbrecher), und auf der Haifischinsel, die heute als Zeltplatz dient, gibt es Gedenksteine sowohl für die umgekommenen Nama als auch für die gefallenen Schutztruppler. Die Buchläden in Swakopmund und Windhoek sind voller Kolonial-Nostalgie, und selbst das neue, von einer nordkoreanischen Firma errichtete Nationalmuseum in Windhoek grenzt die Kolonialisten – egal, ob aus Deutschland oder Südafrika – nicht aus. Nama, Herero, Ovambo, Buschleute und weisse Siedler, so suggeriert die Ausstellung, arbeiten nun zusammen für ein neues, einiges Namibia. (Der Autor ist Professor für Sozialwissenschaften an der University of Social Sciences and Humanities in Warschau und Autor von «Genocidal Empires. German Colonialism in Africa and the Third Reich», Frankfurt a. M.; Peter Lang 2018, 380 S.) Der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts? Die Kriege der deutschen Kolonialarmee (Schutztruppe) gegen die Herero und Nama zwischen 1904 und 1907 werden von der grossen Mehrheit der Historiker als Völkermord bezeichnet. Allerdings gab es damals die Völkermordkonvention noch nicht; sie wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg verfasst und ratifiziert. Deutschland war allerdings an die Haager Landkriegsordnung von 1899 und an die Rote-Kreuz-Konvention von 1864 gebunden, die den Schutztruppenoffizieren und ihren Soldaten auch bekannt war. Sie schrieb vor, Zivilisten, kampfunfähige und sich ergebende Gegner zu schonen und Kriegsgefangene human zu behandeln. Daran hielten sich Herero und Nama mehr als die deutschen Truppen: Sie schonten deutsche Frauen und Kinder sehr konsequent. Der Befehl, Frauen und Kinder von den Wasserstellen zu verjagen und keine Gefangenen zu machen, war auch nach damaligen Massstäben ein klares Kriegsverbrechen, das hätte verfolgt werden müssen. Nach dem Stand der heutigen Völkermord-Jurisprudenz waren die Kriegshandlungen selbst aber kein Völkermord, obwohl sie immense Opfer forderten. Die Zahl der Opfer spielt keine Rolle für den Tatbestand des Völkermords. Es ist in erster Linie die Absicht des Täters entscheidend, eine rassische, nationale, ethnische oder religiöse Gruppe «ganz oder teilweise» zu zerstören. Das versuchten die deutschen Behörden nach dem Ende der Kämpfe, indem sie unmenschliche Lebensbedingungen in den Lagern zuliessen und die Nama- und Herero-Führer mit ihren Familien in Gegenden deportierten, in denen sie nicht überleben konnten. Das war Völkermord, obwohl er vergleichsweise wenige Opfer forderte. Denn es stand die Absicht dahinter, die Nama und Herero nicht nur als Einzelpersonen, sondern als Teil einer Gruppe und die Gruppe als solche zu eliminieren. Für die seit Jahren laufenden Verhandlungen zwischen Deutschland und Namibia über Entschädigungen für die Nachfahren der ermordeten Herero und Nama ist die Völkermord-Frage weniger relevant, als es in der Öffentlichkeit oft erscheint. Sie ist zwischen den beiden Regierungen unstrittig. Offen sind dagegen die Summen, die Nutzniesser und die rechtliche Grundlage der Zahlungen Deutschlands. Berlin möchte Direktzahlungen an Nachfahren vermeiden, weil es einen Präzedenzfall für weiter zurückliegende Ereignisse fürchtet. Die Herero und Nama bestehen aber darauf. Sie wollen verhindern, dass bei Zahlungen an die Regierung das Geld bei den Ovambo statt bei den Herero und Nama ankommt.