Arbeitsblatt: Märchen Brennnessel Spitzwegerich

Material-Details

Pflanzenmärchen als Erlebniseinheit des Pflanzenkundeunterrichts
Biologie
Pflanzen / Botanik
1. Schuljahr
4 Seiten

Statistik

198370
890
7
23.06.2021

Autor/in

sarah wisniewski
Land: Deutschland
Registriert vor 2006

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Textauszüge aus dem Inhalt:

Märchen von Brennnessel und Spitzwegerich von Gitta Schmidt Die Brennnessel war ein stolzes und unnahbares Gewächs. Obgleich sie keine sehr auffällige Blüte besaß und auch sonst durch nichts aus der allgemeinen Blütenpracht herauszuragen vermochte, da sie weder besonders schön, noch sehr anmutig schien, war sie dennoch bekannt im ganzen Land. Jeder, der schon einmal die Bekanntschaft mit einer Brennnessel gemacht hatte, wusste gau, was es hieß, ihr zu nahe zu treten. Überall, an Stiel und Blättern, besaß diese Pflanze kleine, zarte, unauffällige Härchen, die wohl nicht weiter von Bedeutung gewesen wären, hätten sie nicht eine sehr unangenehme Eigenschaft besessen, welche sich in die Erinnerung des Geschädigten förmlich einzubrennen schien und ihn hernach dazu veranlasste, in Zukunft mehr Abstand zu dieser Pflanze zu wahren. Die Brennnessel brannte. Das verkündete sie schon laut und vernehmlich mit ihrem Namen. Berührte eine Brennnessel die Haut eines Menschen, vollzog sich sogleich eine höchst eigenartige Verwndlung derselbigen. Aus dem Nichts zeigte sich urplötzlich eine dicke, rote Quadel auf der versengten Haut, die nicht nur wüst anzusehen war, sondern welche auch unverzüglich zu brennen und zu schmerzen begann. Die Brennnessel amüsierte sich besonders über die Kinder. Berührte sie ihre nackten Beine, begannen die Kleinen sogleich, sich sonderbar zu gebärden, schrieen, hüpften und verbeugten sich tief vor der Nessel, wenn sie an ihrer schmerzenden Stelle heftig rieben. Auf diese Weise nährten sie den Stolz und Hochmut dieser Pflanze. Denn der Brennnessel gefiel dies sehr, sie fühlte sich geschmeichelt, wichtig und mächtig, da es ihr immer wieder gelang, eine so ehrfurchtsvolle Geste zu erwirken. Die Kinder hatten sehr großen Respekt vor ihr? Was wollte sie mehr? Der Spitzwegerich mit seinen langen linear gestreiften Blättern aber, der aus einiger Entfernung alles mit angesehen hatte, blickte böse und tadelnd zur brennenden Pflanze hinüber. Diese winkte jedoch nur kess mit ihren Blütenständen. Soll ich dich auch einmal tanzen lassen? rief sie zu dem steifen Kerl im Nadelstreifenanzug hinüber. Dieser streckte sich daraufhin, wurde lang und schmal, um an Größe zu gewinnen, was gemessen an der Größe der Nessel aber eher possierlich als ehrfurchtsvoll wirkte. „Tu was du nicht lassen kannst, schnauzte er zurück und „dir werde ich es schon zeigen, zischte er noch hinterher. Dann rief er seine Brüder und Schwesternzusammen, und von diesem Tage an standen fast überall dort, wo es Brennesseln gab, auch Spitzwegerich herum. So lebten die zwei Gewächse mehr oder weniger friedlich Seite an Seite, bis zu jenem Tage, als sich einige Kinder auf der Wiese hinter dem Bach einfanden, dort wo die Pflanzen wuchsen. Die Kinder wollten Fangen spielen und rannten auf der Wiese hin und her. Da konnten es sich die Nesseln nicht mehr verkneifen und sie riefen einander zu: „Kommt, laßt uns Kinderbeine streicheln! Gerade als ein kleiner Junge ganz in der Nähe einer Brennessel vorbeiflitzte, beugte sich diese ganz unauffällig nach vorn und berührte sanft seine Wade. „Autsch, verflixt, schrie der Bub! Darauf hatte der steife lange Kerl im Nadelstreifenanzug nur gewartet. Als sich das Kind nach unten neigen wollte, um die schmerzende Stelle zu reiben, streckte er sich plötzlich empor und schrie laut und vernehmlich dem Kind ins Gesicht: „Pflücke mich, zerreibe mich zwischen deinen kleinen Kinderhänden und trage meinen Saft auf deine schmerzende Stelle auf. Der Junge blickte erstaunt auf diese sich so sonderbar ereifernde und laut schreiende Pflanze, aber verdutzt tat er, wie ihm geheißen wurde. Das Brennen hörte sofort auf und verwundert erzählte er später den anderen, was geschehen war. Von da an verbeugten sich die Menschen vor dem kleinen Spitzwegerich, wenn sie ihn pflückten, um ihre von der Brennessel verursachten Schmerzen zu lindern. Ja, es waren schlechte Zeiten für die Nesseln. Und noch etwas trug dazu bei, ihr von da an schon sehr angeknackstes Selbstbewußtsein noch ein wenig mehr zu schmälern. Jetzt kamen nämlich manchmal behandschuhte Frauen auf die Wiese hinter dem Bach, pflückten die Nesseln ungerührt ab, warfen sie in einen mit Wasser gefüllten Eimer und legten einen Deckel darauf. Das begann der Brennessel mit der Zeit furchtbar zu stinken und öffnete man das Gefäß, verbreitete sich ein stechender, unangenehmer Geruch über das ganze Land. Die Frauen aber schienen zufrieden und erst als die Nesseln völlig verfault sich als braune, stinkende, schleimige Masse mit dem Wasser verbanden, lüfteten sie den Deckel und gossen den erbärmlichen Inhalt über ihre Äcker und die Beete vor ihrem Haus. Erst viele Wochen später, als aus dem gedüngten Boden die herrlichsten Blüten und Beeren hervorkamen, sollte die Brennessel eine Ahnung davon bekommen, was es bedeutete, seinen Platz zu haben in dem wundervollen Zusammenspiel der Natur. Von da an stand die Nessel wieder aufrecht auf der Wiese hinter dem Bach, am selben Ort, aber beseelt und getragen von einer Gemeinschaft, die ihr Sinn und Stärke verlieh. Die Brennessel wurde übrigens auch eine der wichtigsten Schmetterlingspflanzen im ganzen Land. Wofür andere sich zu schade waren, stellte sie sich bereitwillig zur Verfügung, und so kam es, daß sich die Raupen vom Admiral, vom Tagpfauenauge und vom kleinen Fuchs fast ausschließlich von ihren Blättern ernährten. Später besuchten die fertigen, schönen Schmetterlinge ihre Lieblingspflanze und erzählten ihr oft von Frühlingsbekanntschaften und abenteuerlichen Begegnungen, die sie auf ihren Flügen gehabt hatten. Eines Tages begannen die Menschen die Nessel zu zähmen. Sie pflückten sie vorsichtig und verkochten sie zu einem Brei oder mischten sie einem Tee bei. Auf diese Weise setzte die Nessel so manches Mal heilende Kräfte frei. Sie regte den Stoffwechsel der Menschen an, sobald sie von ihr aßen und tranken. Die Nessel wirkte entwässernd, entgiftend und vitalisierend. Sie half bei Rheuma, Gicht und Hautkrankheiten und selbst bei Harnwegserkrankungen verschaffte sie dem ein oder anderen so manche Linderung. Im Frühjahr fühlt sich die Brennessel besonders stark. Dann preßten die Menschen allen Saft aus ihren Blättern, um ihn zu trinken. So floß die neue Kraft dieser Pflanze auch in die Körper der Menschen und verlieh auch ihnen Ausdauer und Stärke. Eines Tages geschah noch etwas Merkwürdiges auf der Wiese hinter dem Bach. An einem lauen Frühlingsabend trafen sich dort einige Menschen. Mit schweren Schritten gingen sie auf die Pflanzen zu und der Kerl im Nadelstreifenanzug erschrak sich sehr, denn er glaubte, nun ginge es ihm an den Kragen. Doch das Interesse der Menschen galt nicht dem Spitzwegerich, sondern den Nesseln. Beherzt pflückten sie das Kraut und ehe man sich versah, fingen sie an, sich gegenseitig mit den Stängeln samt Blättern auf den entblößten Rücken zu peitschen. Der Spitzwegerich war entsetzt und mit ihm noch einige andere Wiesenbewohner, die den Sinn dieses Unterfangens nicht ganz begreifen konnten. „Jetzt sind sie völlig übergeschnappt, bemerkte er pikiert und war insgeheim sehr froh darüber, daß nicht er die Pflanze ihres Begehrens war. Später sollte sich herausstellen, daß dieses Peitschen gegen Arthrose und sonstige Gelenkleiden hilfreich war. So hatte die Brennessel also einst ihren Platz in der großen Ordnung der Natur gefunden und nur manchmal saß ihr noch der Schalk im Nacken, immer dann nämlich, wenn sie nackte Kinderbeine vorübereilen sah. Dann konnte es schon geschehen, daß sie, von Übermut gepackt, versuchte, so ganz zufällig eine bloße Wade zu berühren und nur der Himmel war Zeuge ihres schelmischen Glücks, sobald es ihr gelungen war!