Arbeitsblatt: Absolutismus
Material-Details
L'odeur, c'est moi! Oder warum Louis XIV derart übel gerochen hat...
Geschichte
Neuzeit
7. Schuljahr
2 Seiten
Statistik
19850
2239
122
15.05.2008
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Registriert vor 2006
Textauszüge aus dem Inhalt:
Die medizinischen Höllenqualen des Sonnenkönigs (Von Hans Conrad Zahnder) Warum hat König Ludwig XIV. von Frankreich eigentlich so Kuss des Sonnenkönigs war zwar eine göttliche Ehre, aber ein Leitsatz), es gebe im ganzen menschlichen Körper keinen fürchterlich gestunken? Genuss war das nicht, und niemand wusste das besser als gefährlicheren Infektionsherd als die Zähne. Und es schliesst Die Tatsache selber ist allgemein bekannt und wird nicht Madame de Maintenon. der Doktor, dass man Zähne allenfalls im Munde eines ge- einmal von den Schulbüchern verschwiegen. Aber man findet wöhnlichen Untertanen belassen könne. Bei Seiner Majestät dort eine eigentümlich vage Erklärung. Es sei, hat man uns in dem König aber müssten sie allesamt gezogen werden, solan- der Schule gesagt, im 17. Jahrhundert ganz allgemein nicht ge er noch gesund sei. üblich gewesen, sich zu waschen, und so habe eben nicht Beim Zähneziehen auch den Gaumen entfernt einmal der überaus reichliche Gebrauch von Parfüm am Hof des Sonnenkönigs zu Versailles die hygienischen Mängel der Dagegen sträubte sich Ludwig XIV. Aber Daquin wendet Zeit zu überduften vermocht. jeden psychologischen Trick an, mit dem er jede seiner Ideen Diese Erklärung ist zwar plausibel, aber falsch. Natürlich hat bei Ludwig durchzusetzen weiss: Er sagt dem mächtigsten jede Epoche ihren eigenen Gestank, und ein mittelalterlicher Herrscher Europas, seine Gesundheit sei gleichbedeutend mit Mensch würde wahrscheinlich ohnmächtig, wenn er die che- seiner Glorie (seinem Ruhm), und darum sei es für seine kö- mischen Sauberkeits- und Schönheitspräparate röche, nach denen der ganz normale Mensch heute stinkt. Aber wir selber Dank sei deshalb dem französischen Historiker Louis Bert- merken das ja nicht. Denn es kennzeichnet den allgemeinen rand, der das Rätsel um die besondere Duftnote des Königs Duft einer Epoche, dass ihn die Zeitgenossen selbst nicht mit allem gebotenen wissenschaftlichen Ernst geklärt hat. wahrnehmen. Professor Bertrand hat das getan, was man immer dann tun Dass Ludwig XIV. duftete, haben aber selbst die Zeitgenos- sollte, wenn mit dem körperlichen Befinden eines Menschen sen wahrgenommen. Zahlreich sind die diskreten Hinweise etwas nicht stimmt: Er hat die Ärzte untersucht. Da sind die darauf, was es für eine Qual gewesen sein muss, sich mit dem Leibärzte des Königs, der Docteur Vallot, der Docteur Da- Sonnenkönig aus der Nähe zu unterhalten oder gar sein quin und der Docteur Fagon. Jeder von ihnen ist ein Arzt, wie Tischgenosse zu sein. Und wenn Madame de Maintenon, er im Buche steht: Ohne Kenntnisse der menschlichen Reali- seine Maitresse, im Lauf der Jahre immer frömmer wurde und tät, aber dafür voll geblasen mit ärztlichem Hochmut. ihrem Louis immer eindringlicher zuredete, er solle doch die Nehmen wir den Doktor Daquin. In seinen Händen befindet religiöse Erbauung den Sünden des Fleisches vorziehen, so sich der Sonnenkönig während seiner blühendsten Mannes- hatte das wahrscheinlich höchst weltliche Gründe. Denn ein jahre. Im Kopf des Doktor Daquin sitzt das Dogma (der nigliche Glorie nötig, dass ihm die Zähne allesamt gezogen würden. Am folgenden Tag notiert der Leibarzt in sein Tagebuch: „Seine Majestät der König hat geantwortet, er sei für seine Glorie zu allem bereit, sogar zum Sterben. Ludwig XIV. ist nicht gerade gestorben, aber der Doktor Daquin geht immerhin so geschickt vor, dass er dem König, zusammen mit unteren Zähnen, auch gleich den Kiefer zerbricht und ihm, zusammen mit den oberen Zähnen, einen grossen Teil des Gaumens herausreisst. Der Königliche Unterkiefer wächst nach einer Weile wieder zusammen, aber der herausgerissene Gaumen ist natürlich nicht wieder zu ersetzen. Den Doktor Daquin schert das nicht. Einen Monat später notiert er in sein Tagebuch: „Zum Zweck der Desinfektion habe ich Seiner Majestät das Loch im Gaumen vierzehn Mal mit einem glühenden Eisenstab ausge- das Wort „vapeur. Gemeint sind Blähungen aller Art. Dabei Es ist wohl eher den Gebeten der Maintenon zuzuschreiben brannt. bleibt es nicht. Doktor Daquin notiert: „Seine Majestät hat als der Kunst von Professor Félix, dass die Operation gelingt. Fortan erleben die Tischgenossen Seiner Majestät täglich das heute wieder erbrochen, und zwar zur Hauptsache völlig Louis leidet Schmerzen wie ein Pferd. Die Operation hat Spektakel, dass dem grossen König, wenn er trinkt, das halbe unzerkaute und unverdaute Materien, darunter eine grosse natürlich ohne Narkose stattgefunden. Am Nachmittag muss Glas Wein gleich wieder zur Nase heraussprudelt. Schlimmer Menge unverdauter Trüffel. er auf seinem blutig zerschnittenen Hintern zwei Stunden lang noch: In der offenen Tropfsteinhöhle mit der sich der Mund Das machte dem Arzt aber keine grossen Sorgen. Denn die dem Grossen Rat des Königreichs vorsitzen. Denn selbst des Königs zur Nase öffnet, setzen sich ständig grössere Lehre der Universität besagt, dass der Darm viel wichtiger ist wenn der König vom Operationstisch kommt, ist es unmög- Brocken fester Nahrung auf so komplizierte Weise fest, dass als der Magen und dass nur ein leerer Darm ein gesunder lich, irgendetwas am pompösen Tagesablauf in Versailles zu sie sich erst nach Wochen auflösen. Durch die Nase. Darm sei. So verschreiben die Ärzte am laufenden Band Ab- ändern. Durch seinen zahnlosen Mund schlingt der Sonnenkönig führmittel. Für die Gesundheit des Königs, darüber sind sich Bleibt die Frage, wie Ludwig XIV. das grauenhafte Martyrium, riesige Mengen Nahrung unzerkaut herunter. Nichts hat ihm die Ärzte einig, sind nur die besten und stärksten Abführmit- das ihm seine Ärzte zugefügt haben, durch siebenundsiebzig die Bewunderung seiner Zeitgenossen in solchem Masse tel gut genug. Täglich muss Louis also sein „bouillon purgatif Jahre seines Lebens überhaupt aushalten konnte. Nie ist auch eingetragen wie sein ungeheurer Appetit. Denn der Appetit schlürfen. Und da es zu den vornehmsten Pflichten der Leib- nur ein einziges Wort der Klage über seine Lippen gekom- des Königs gilt seit dem 17. Jahrhundert als ein Zeichen gött- ärzte gehört, täglich zu notieren, wie oft Seine Majestät muss, men. Noch die schlimmsten Torturen, die ihm seine Ärzte lichen Segens für das gesamte Königreich. Aber Louis isst so wissen wir, dass Louis täglich so zwischen zehn und acht- zugefügten, hat er mit heroischer Unfühlsamkeit ertragen. nicht, weil ihm der Himmel gut gesonnen ist. Er isst, weil er zehn Mal dort sitzt, wohin selbst Könige zu Fuss gehen. Häu- Und majestätisch wie ein spanischer Grande ist er durch Ver- lebenslänglich an Bandwurm leidet. Das steht heute fest, weil fig kommt er zu spät, die Erklärung seiner persönlichen sailles stolziert: Den Bauch von Blähungen gepeinigt, die es zu den Aufgaben seiner Leibärzte gehörte, täglich einen Duftnote. Hosen voll, die verstopfte Nase aber so verächtlich über die detaillierten Bericht über die Exkremente Seiner Majestät zu Im Jahr 1686 bäumt sich das königliche Gedärm gegen die ganze Menschheit hochgezogen, als wolle noch in seiner pein- erstellen. Diese Berichte sind erhalten. jahrzehntelange medizinische Misshandlung auf. Am Rücke- lichsten Schwäche die Welt beschämen mit einem souveränen nende Seiner Majestät bildet sich ein faustgrosses Geschwür, „Lodeur cest moi! Kranke Untertanen als lebende Meerschweinchen So isst denn Louis mit masslosem Appetit, ohne jemals satt zu werden. Zum Mittagessen lässt er sich in einer einzigen riesigen Schüssel Enten, Hasen, Fasane, Lerchen, Perl-, Trutund Rebhühner servieren, das Ganze zehn bis zwölf Stunden lang in derselben Sauce gekocht. Denn der zahnlose König kann ja nicht mehr kauen. So suchen ihn, den ganzen Nachmittag über, fürchterliche Verdauungsstörungen heim. Kein Wort kommt in den ärztlichen Tagebüchern häufiger vor als auf dem der König mit versteinertem Gesicht sitzt. Im ganzen Reich macht man nun Untertanen ausfindig, die ein ähnliches Geschwür wie der König haben. Über einen Monat lang hat der Universitätsprofessor Félix diesen bedauernswerten menschlichen Meerschweinchen den Hintern kreuz und quer aufgeschnitten und wieder zugenäht, und zwar so gründlich, dass die Versuchpersonen reihenweise auf den Friedhof gekarrt wurden.