Arbeitsblatt: Martinsgeschichte

Material-Details

Eine Parallelgeschichte aus der Zeit des hl Martin
Deutsch
Vorlesen / Vortragen / Erzählen
4. Schuljahr
2 Seiten

Statistik

199882
346
1
18.11.2021

Autor/in

Karin Schaeffer
Land: Deutschland
Registriert vor 2006

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Textauszüge aus dem Inhalt:

DER HALBE MANTEL ODER DER NICHT ÜBERLIEFERTE TEIL DER LEGENDE Nachdem der Soldat Martin – dass man ihn später einmal den heiligen Martin nennen würde, wusste er ja noch nicht – dem Bettler seinen halben Mantel geschenkt hatte, ritt er zuerst sehr zufrieden mit sich selbst weiter in den trüben kalten Abend dieses Wintertages hinein. Langsam allerdings wurde er doch recht nachdenklich. Nicht dass es ihm leid tat, dem Bettler den Mantel geschenkt zu haben, er wusste schließlich zu gut, was es hieß, keine Wohnung und keine warme Kleidung zu haben, aber er konnte sich nicht so ganz den Gedanken verkneifen, dass ihn sein gutes Herz – wegen dem ihn seine Kameraden bei den Soldaten oft genug ärgerten – wieder mal in Schwierigkeiten gebracht hatte. Zum einen fror er gerade erbärmlich. Genauer gesagt, seine linke Seite fror erbärmlich die nämlich, die unter den Mantelteil gehörte, den jetzt der Bettler am Stadttor hatte. Außerdem wurde ihm mit plötzlichem Schrecken klar, dass er in Kürze Ärger bekommen würde, und zwar nicht zu knapp. Der Mantel nämlich – wie hatte er das bloß vergessen können gehörte ja gar nicht ihm. Er war ein Teil seiner Uniform als Soldat und Bracchus, sein Chef in der Kaserne würde es gar nicht witzig finden, wenn er ihm erklären würde, dass ihm dummerweise ein armer Mann so leid getan hatte, dass er seinen halben Soldatenmantel hergeschenkt hatte. Bracchus hatte für die Armen sowiso nichts übrig. Schließlich war sein Urgroßvater einmal dem Kaiser persönlich begegnet, darauf bildete er sich mordsmäßig was ein. Aber was tun? ---------------------------------------------------------------------Eine kleine, kalte dunkle Straße in der Stadt mündete in eine noch viel kleinere dunklere und kältere Gasse, in der sich ein winziger Gasthof befand, wo man für wenig Geld einfaches Essen – meistens nur Linsen und Brot – und vor allem billigen Wein kaufen konnte. Die Wirtin Lydia war eine gutherzige Frau und schickte an diesem kalten Abend niemand vor die Tür, schon gar nicht ihren alten Freund, den Bettler Beppo. Der hatte heute sogar Geld. Eine junge Dame hatte ihm eine Münze geschenkt. Für die kaufte er jetzt von Lydia einen Teller heiße Linsen, das tat gut. Als die Wirtin ihm die Linsen servierte, fiel ihr der schöne wenn auch etwas kleine rote Umhang auf, den Beppo trug. Ach, seufzte sie. Beppo. der ist aber schön rot. Wie würde meine Tochter sich freuen, wenn sie aus einem so schönen Stoff ein Kleid für ihr kleines Mädchen schneidern könnte. Wo die Kleine doch schon sieben Jahre alt ist und noch nie ein neues Kleid bekommen hat. Da hast du wirklich Glück gehabt, Beppo, dass dir jemand so was schönes geschenkt hat! Und das beste an Lydia war, dass sie es auch so meinte. Sie war nämlich niemand, der einem anderen nichts gönnte, nur weil sie selbst nicht dasselbe hatte! Da dachte Beppo an die vielen Brotstücke und Linsenreste, die sie ihm schon zugesteckt hatte und an die vielen male, an denen sie ihn hatte im warmen bleiben lassen, obwohl er kein bisschen Geld gehabt hatte und schluckte einmal. Dann sagte er ganz lässig: Ach weißt du, Lydia, eigentlich ist der Mantel mir ja eh zu klein und überhaupt rot ist auch gar nicht so meine Farbe. Für wein kleines Mädchen passt rot viel besser. Weißt du was? Hier hast du den Stoff. Bring ihn deiner Tochter, damit eure Kleine mal ein schönes neues Kleid bekommt. Damit nahm er den Mantel von den Schultern und gab ihn der Wirtin. Und wie Sophia sich freute. In Gedanken sah sie schon ihre Tochter in dem neuen roten Kleid, als sie plötzlich vor ihrer Wohnungstüre schwere schlurfende Schritte hörte. Das musste die alte Pia sein, die oben im Haus in einer winzigen eiskalten Kammer wohnte. Die Frau war schon sehr alt und hatte in diesem kalten Winter besonders schlimme Schmerzen in den Knochen. Lydia seufzte uns sah abwechselnd auf den warmen roten Stoff in ihren Händen und an die Zimmerdecke hinauf. Das tat sie, weil sie eigentlich gerne vergessen wollte, was ihr gerade eingefallen war, nämlich, dass sie den Stoff auch der alten Pia, die ja noch ärmer war als sie, schenken könnte. Sie wollte ihrer Tochter wirklich gerne eine Freude machen, andererseits, ob sie wohl Freude an dem Kleid haben würde, wenn Pia weiter über ihnen fror und Schmerzen hatte? Mit einem etwas schiefen Lächeln wickelte sie schließlich den Stoff über ihren Arm und ging die Treppen nach oben, um ihn der alten Pia zu geben. Kaum waren die Schritte ihrer jungen Nachbarin verklungen, wandte sich die alte Frau voller Freude dem schönen Mantel zu, den diese ihr gebracht hatte. Wie schön warm der Stoff war (Der Kaiser wollte schließlich nicht, dass seine Soldaten vor Kälte krank wurden – kranke Soldaten kämpfen nämlich nicht gut!) und wie gut von ihrer Nachbarin so lieb an sie zu denken – darüber freute sie sich fast am meisten. Sie faltete ihn sogleich auf, um ihn über ihre Schultern zu legen. Autsch! Ihre rechte Schulter stach immer noch, wenn sie sie bewegte. Allerdings nicht mehr halb so sehr wie noch vor vier Wochen, bevor der junge Doktor Placidus sie behandelt hatte. Dankbar dachte sie an den Arzt, der immer so nett zu ihr gewesen war. Er hatte nie viel Geld verlangt und war immer gekommen, obwohl er zu Hause eine junge Frau und ein ganz frisches neugeborenes Baby hatte Das Baby! Eigentlich hatte sie dem Doktor etwas schenken wollen, als er ihr von seinem kleinen Sohn erzählt hatte, sie hatte nur nichts gehabt. Aber jetzt? Der rote Stoff würde eine prächtige warme Decke für ein baby abgeben. Bestimmt! Und der Doktor war bestimmt nicht reich – zumindest nicht, wenn er beim Bezahlen bei allen Leuten so viele Augen zudrückte, wie bei ihr! Zu ihrer eigenen Überraschung summte Pia recht vergnügt vor sich hin, als sie sich ihren alten braunen Umhang umlegte um zu Doktor Placidus Wohnung zu gehen. Ihre Nachbarin Sophia hatte ihr eine große Freude gemacht, nun würde sie eben dem Doktor und seiner Frau eine machen. Der Doktor und seine Frau freuten sich tatsächlich. Eigentlich wollten sie den Stoff erst gar nicht nehmen – obwohl sie nicht reich waren, waren sie doch auch nicht wirklich arm- aber die freundliche alte Frau hatte absolut darauf bestanden und so nahm Placidus ihn schließlich entgegen, fest entschlossen, sich in Zukunft besonders gut um seine Patientin Pia zu kümmern. Als die alte Frau fort war, sah er sich den Stoff genauer an und sagte zu seiner Frau: Sieh nur, das ist ein halber Soldatenmantel. Ich möchte bloß wissen, wie die alte Pia an den geraten ist! Und kopfschüttelnd beschloss er, den halben Mantel seinem kleinen Bruder Sextus zu schicken, der ein Soldat war und immer wieder Risse und Löcher in seine Sachen machte. In der großen Kaserne der Stadt, dort, wo die Soldaten wohnten, saßen zwei junge Männer in ihrem gemeinsamen Zimmer. Der eine war recht vergnügt, pfiff ein Liedchen und polierte eifrig seine Stiefel, damit sie für den folgenden freien Tag auch schön waren, der andere saß recht nachdenklich auf seinem Bett und überlegte sich, was er in einer Stunde seinem Chef Gracchus sagen sollte, wenn der ihn nach einem gewissen fehlenden Mantelteil fragen würde, als plötzlich ein Diener mit einem Paket die Stube betrat. Sextus – kein anderer war der pfeifende junge Soldat wickelte das Paket aus, faltete den halben Mantel auf und hatte schon eine Bemerkung über lästige große Brüder auf den Lippen als sein Blick auf den völlig erstarrten Martin fiel, der fassungslos mit offenem Mund seinen eigenen halben Mantel anstarrte. Martin, fragte Sextus besorgt, gehts dir gut? Hast du noch nie ein Stück Stoff gesehen? Es dauerte eine Weile, bis Martin seinen Teil der Geschichte erzählt hatte, dann standen die Freunde eine Weile versonnen vor den beiden roten Mantelteilen und rätselten, wie der halbe Mantel des Bettlers wohl zu Martin zurückgefunden hatte. Schließlich nähten sie die beiden Teile zusammen. Bracchus, der zwar ein Angeber aber nicht besonders gescheit war, merkte nichts und Martin, der das dürfen wir nicht vergessen noch kein heiliger Martin war, war ziemlich froh, etwas Gutes getan zu haben und doch keinen Ärger zu bekommen.