Arbeitsblatt: Warum Marco nicht heimkam
Material-Details
Text mit Fragen zum Textverständnis
Deutsch
Textverständnis
7. Schuljahr
3 Seiten
Statistik
38336
2863
49
10.04.2009
Autor/in
Mario Bokstaller
Land: Schweiz
Registriert vor 2006
Textauszüge aus dem Inhalt:
Warum Marco nicht heimkam Heute noch spricht man in Sednija von Marko, dem schwarzen Pudel von Vertec Malen. Die Mütter erzählen es den Kindern, die es wieder den Kindern erzählen, die kleine Geschichte, so wie sie war, ohne Schnörkel und Zutaten, eine einfache Pudelgeschichte. Der Sägemüller Vertec wohnte jenseits des Flusses, tief in den Wäldern drinnen. Der Weg zum Marktflecken war weit, und die Frau, die genug zu tun hatte mit ihrer Hauswirtschaft denn der Mann und die Söhne und auch die Knechte hielten auf gutes und reichliches Essen Marta Vertec also hatte wenig Lust, den langen Weg aus der Schlucht heraus, über die Brücke und noch am Fluss entlang bis in den Ort zu laufen, nur um einzuholen, was ihre Männer brauchten. Wer Marko, den Pudel, dazu abrichtete, erfuhren wir nie, aber Marko trabte mit dem Einkaufskorb im Maul von der Mühle den weiten Weg nach Sednija und kaufte ein. Er tat es gern, er war stolz auf sein Amt als Einkäufer, und jedermann kannte ihn und freute sich, wenn er kam. Im Korb lagen der Zettel mit den Bestellungen und die Börse mit dem abgezählten Geld. Marko lief von Geschäft zu Geschäft mit seinem Korb, und der Fleischer, der Krämer und dann und wann auch der Apotheker lasen vom Zettel ab, was in den Korb kommen sollte, nahmen das Geld, das ihnen zustand, streichelten an dem hübschen Pudel herum, der so geduldig wartete, bis er an die Reihe kam, und nur zuweilen, wenn es zu lange dauerte, mit Vorderpfoten und Kopf über dem Ladentisch erschien was alle immer wieder zum Lachen brachte. Es sah zu drollig aus, wenn der schwarze Kleine die Leute erinnerte, dass er bedient sein wollte. Wenn er heimwärts lief, rannten die Kinder, die ihn kannten (denn wer kannte ihn nicht?), noch eine Weile neben ihm her. Dann verschwand er über der Brücke, langsamer, als er gekommen war, denn der Korb war nun schwer, trabte durch die Schlucht und kam pünktlich daheim an. Alle lobten ihn dann, und aus den Mienen konnte er sehen, wie zufrieden sie waren, wie stolz auf den klugen Hund. Sie sagten es ihm. Marta sagte es, Tonio, der Müller, die Söhne, die Knechte jeder lobte ihn, der Fleisch, Käse und Würste in seinem Korb trug und nie in Versuchung kam, seine Einkäufe gelegentlich aufzufressen. Er verlor nichts aus dem Korb, weder die Börse noch Martas Schürzenstoff, noch den Tabak des Müllers. Guter Marko, braver Marko, sagten sie mit ihren hellen, zärtlichen Stimmen. An den Einkaufstagen bekam er mehr Fleisch als Brot in seinen Napf und durfte auf dem Sofa des Müllers schlafen. Marko genoss das alles sehr, man sah es ihm an, sein Hundeleben war schön auf dieser Welt. Seine klugen Augen lächelten, und anscheinend wohnte ein wenig Stolz in seiner Brust, Stolz und Freude darüber, dass er geliebt wurde von denen, die er liebte. So vergingen Jahre, und nichts änderte sich. Einmal aber, an einem kühlen, klaren Herbsttag, geschah das Unglück. Marko empfand es so: Ein grausames Unglück war es, das über ihn hereinbrach, bitter und unverdient wie jedes Unglück. Eli, ein halbes Kind noch, das die Ziegen hütete, sah es mit an: Als Marko mit dem gefüllten Korb durch die Schlucht trabte, hielt ihn ein Landstreicher an, irgendein Vagabund oder Handwerksbursch oder beides. Arglos, an freundliche Worte gewöhnt, liess Marko sich kraulen von fremden Händen, nahm Platz auf dem Hinterteil und genoss das bisschen Ausruhen vom langen Weg. Im nächsten Augenblick riss ihm der Vagabund den Korb aus dem Maul und rannte mit langen Sprüngen davon in den Wald hinein. Marko, zu verblüfft im ersten Augenblick, brauchte Sekunden, um sich zu fassen. Dann hetzte er hinter ihm her, jaulend und bellend, mit gesträubtem Fell. Aber der Fremde warf Steine nach ihm und traf ihn am Bein, so dass er aufheulend zu hinken anfing und an Schnelligkeit verlor. Eli, der kleine Knecht am oberen Rand der Schlucht, rief laut um Hilfe aber als er über die Hänge herab zum Weg kam, waren weder der Fremde noch Marko zu sehen. Marko kam nicht heim. Eli erzählte, was geschehen war, und die Leute von Vertec Malen rannten zum Weg hinunter und riefen nach ihrem Hund. Aber nichts regte und rührte sich. Hatte der Landstreicher ihn erschlagen, mitgeschleppt, vergraben? Tage vergingen, und in der Mühle, im Haus, hockte der Kummer um Marko, den verlorenen Hund. Marta musste sich entschliessen, selber zum Krämer zu gehen. Dabei erzählte sie vom traurigen Ende des Pudels und weinte nicht wenig dabei. Und der Krämer und alle, die im Laden standen, nahmen Anteil an ihrem Kummer und verfluchten den Dieb und Landstreicher und Hundemörder mit allen Flüchen, die sie zur Hand hatten, und die Kinder, die gewohnt waren, Marko zu begleiten, schluchzten aus ehrlichem Herzen um die Seltsamkeit, die Marko, der Einkäufer, für sie bedeutet hatte. Aber Marko war nicht tot. Einer der Knechte sah ihn, wie er, verwahrlost und ausgehungert, durch den Wald schlich, auf den Hinterbeinen hockte und zum Haus hinstarrte, in dem sie wohnten, die gütigen Götter seines Lebens. Warum ging er nicht heim? Fürchtete er sich vor Schimpfworten und Prügeln? Eli, der Kleine, der den sechsten Sinn hatte, wie alle sagten, verstand besser, wie es in Marko aussah: Er schämte sich, fühlte sich elend vor Scham und Verzweiflung, elend und schuldig, er hatte versagt! Hatte Fleisch und Tabak, Geld und drei Ellen Kleiderstoff nicht heimgebracht, wie es sich gehörte! Was mochten sie von ihm denken?! Dass er das Fleisch gefressen den Korb verloren hatte, achtlos, wie der dümmste, gewöhnlichste Hund! Er bohrte die trockene Schnauze tief in den Waldboden, wenn er daran dachte. Marko irrte durch den Wald, trank Wasser aus dem Bach in der Schlucht und schlief oft ein, krank vor Hunger und Elend. Er hörte wohl, dass sie ihn riefen, aber wie konnte er dorthin gehen, wo Herr und Herrin auf den Korb warteten den er nicht brachte. Mitten in der Nacht nach dem fünften Tag fuhr Marta aus dem Schlaf auf. Plötzlich wusste sie, was sie zu tun hatte, um Marko heimzuholen. Sie lief morgens hinunter in den Ort, kaufte denselben Korb, den Marko getragen hatte, dieselbe Menge Fleisch, denselben Stoff, das gleiche Päckchen Tabak. Auch eine Börse, die der verlorenen glich. Damit ging sie heimwärts und auf dem Platz, den Eli ihr beschrieb, stellte sie den Korb mitten auf den Weg. Dann versteckte sie sich oben über der Schlucht und wartete. Mochten die Leute daheim heute kein Essen bekommen, es ging um Marko, den klügsten Hund, der ihr, besser als jede Magd, den leidigen Marktweg erspart hatte, jahrelang. Nie wieder würde sie einen Hund bekommen wie ihn. Sie sass im Gebüsch über dem Weg und wartete geduldig. Plötzlich sah sie ein dünnes, struppiges, trauriges Geschöpf, das unten in der Schlucht zum Wasser schlich: Marko! Matt, zum Skelett abgemagert, kam er vom Wasser herauf, überquerte den Weg und blieb plötzlich steif stehen, zitternd, mit vorgestrecktem Kopf. Du liebe Zeit da stand ja der Korb sein Korb! Marko schlich näher, geduckt, zögernd. Zuletzt kroch er auf dem Bauch langsam zum Korb hin und sah hinein. Da war doch alles! Das Fleisch, die Bör- se, der Kleiderstoff. Wie ein Wunder stand der Korb da, zurückgebracht von der grausamen Hand, die ihn aus dem Maul gerissen hatte! Marko starrte ihn an. Er, Marko, konnte heimgehen, konnte möglicherweise beschimpft werden, da er so spät erst kam. Aber er kam, ohne Fleisch gefressen, den Korb verloren zu haben. Zärtlich schob er die Lefzen über den Henkel des Korbes. Ein schweres Ding für einen ausgehungerten Hund. Aber er schleppte sich und ihn vorwärts, Schritt für Schritt. Marta, oben über dem Weg, rannte heim. Nun wussten schon alle, dass Marko kommen würde. Als er dann wirklich ankam, begrüssten ihn helle Zärtlichkeit in den Stimmen, Lachen, Streicheln. Marta küsste ihn mitten auf die Schnauze. Marko wedelte verlegen, noch immer ein wenig beschämt. Dann kroch er zum Sofa und schlief ein vor Erschöpfung. Als er aufwachte, konnte er nur langsam und wenig fressen von den guten Fleischstücken, die er bekam. Aber er erholte sich nach einigen Tagen. Und als ihm Marta, nach seiner Gesundung, den Korb gab, mit Börse und Zettel, trottete er vergnügt davon. Das Unglück musste ein Irrtum gewesen sein, eine Art Schabernack vielleicht, ein Witz oder böser Traum. Die Kinder im Ort begrüssten ihn jubelnd, der Krämer rief bei seinem Anblick das ganze Dorf zusammen. Marko lächelte bescheiden. Er übte den hohen Beruf eines Einkäufers noch jahrelang aus. Dann kränkelte er, sah nicht mehr gut und lebte als weithin bekannter, geehrter und verzärtelter Greis sein Leben zu Ende. Aber Marta behielt recht: Nicht einer der Hunde, die nach ihm kamen, erlernte es, nach Sednija zu gehen als Einkäufer von Vertec Malen. (Juliane Kay) ARBEITSAUFGABEN ZUM TEXT: 1. Kannst du die Geschichte von Marko, dem Pudel, in einigen Sätzen erzählen? 2. Stelle fest, welche Ansichten und welche Urteile die Menschen über Marko äussern. 3. Welcher Satz verrät nach deiner Ansicht die grösste Spannung? 4. Die Erzählerin fragt: Warum ging er nicht heim? Kannst du die Frage beantworten? 5. War das Unglück ein Irrtum, eine Art Schabernack, ein Witz oder ein böser Traum? Was meinst du dazu? Suche eine Bezeichnung, die gut passt.