Arbeitsblatt: Filmvergleich "Effi Briest": Fassbinder und Luderer
Material-Details
Diese Zusammenfassung versucht die zwei Darstellungsformen des lit. Stoffes in den fast zeitgleich Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts entstandenen Verfilmung von Theodor Fontanes "Effi Briest" zusammenzufassen. Interessant ist auch Fassbinders Wahl einer Schwarz-Weiß-Verfilmung, während der DDR-Regisseur Luderer eine eher konventionelle (Farbe, Filmmusik, Ausschmückung von Szenen, die im Buch vernachlässigt werden) wählt.
Deutsch
Anderes Thema
11. Schuljahr
4 Seiten
Statistik
46048
857
2
20.09.2009
Autor/in
Martina Frick
Land: Österreich
Registriert vor 2006
Textauszüge aus dem Inhalt:
1 Filmische Umsetzung des Romans Effi Briest von Theodor Fontane bei Rainer Werner Fassbinder und Wolfgang Luderer Rainer Werner Fassbinder Effi Briest (BRD 1972; Titelrolle: Hanna Schygulla) Film hält ZuschauerInnen gefühlsmäßig durch verschiedene Mittel (die im Anschluss genauer betrachtet werden) eher auf DISTANZ. Es wird mehr auf kognitives Verarbeiten, kritisches Betrachten, genaues Hinsehen bzw. Zuhören und Nachdenken über das Gesehene gesetzt (Einfluss des epischen Theaters von Bertolt Brecht) Vom Werk durch die Art und Weise der Verfilmung vorgegebene Rolle bzw. Haltung des Zusehers bzw. der Zuseherin (intendierte/r ideale/r Zuseher/in) Akzent darauf, WIE etwas passiert, warum die Figuren so handeln, wie sie handeln. Mehr Gewicht auf das gesellschaftliche Ganze als auf das Schicksal der Titelfigur. Fassbinder wählt ganz bewusst das in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts längst überkommene Mittel des Schwarz-Weiß-Films: Warum? a) schafft mehr historische Distanz zwischen dem an Farbfilme gewöhntem Publikum und der dargestellten Filmhandlung; vielleicht auch Hinweis darauf, dass es sich um eine Geschichte aus vergangenen Tagen handelt. b) erlaubt ausgiebige Arbeit mit Hell-Dunkel-Kontrasten, mit denen übrigens im traditionellen Stummfilm oft Schauer- und Gruseleffekte erzielt wurden auch im Film wird das Bedrohliche (Innstetten) oft in dunkler Gestalt (Kleidung, Figuren aus dem Dunkeln kommend) oder Tönen gezeigt. Der Schwarz-Weiß-Film bedingt, dass automatisch mehr mit der Struktur des Bildes gearbeitet wird (Linien, Umrisse, Silhouetten, „Muster .) c) Auffällig: Weißes Aufblenden zwischen den Filmszenen (Unterbrechung der bildlich dargestellten Handlung – Zuschauer wird wieder aus seiner eventuell eingetretenen Identifikationshaltung herausgerissen) d) These Martina Frick: Film wirkt teilweise wie ein Fotoalbum aus alter Zeit, in dem man blättert (weiße Aufblenden könnten mit den oft weißen Zwischenblättern traditioneller Fotoalben gleichgesetzt werden; dazu passt auch die „Beschriftung durch Textzitate und die teilweise wie auf Fotos eingefrorenen Szenen) Farbgestaltung Wolfgang Luderer (DDR 1970; Titelrolle: Angelika Domröse) Film arbeitet vorwiegend mit Mitteln der IDENTIFIKATION UND ILLUSION Film will, dass Publikum mit den Figuren, hauptsächlich der Titelfigur Effi (Sympathielenkung!) mitfühlt, sich in ihre Lage hineinversetzt, sich ihr möglichst nahe fühlt – so nahe, dass die ILLUSION aufrechterhalten wird, dass es sich im Moment des Erlebens um Wirklichkeit handelt, nicht um ein Kunstprodukt. Das, WAS mit der Hauptfigur passiert, mehr im Mittelpunkt Als Farbfilm hebt er sich nicht von den damals üblichen Sehgewohnheiten der ZuseherInnen ab und appelliert mehr an das dem Publikum Vertraute Zwar können so natürlich Hell-Dunkel-Effekte nicht wie bei Fassbinder genutzt werden, dafür befriedigt der Regisseur auch die Schaulust der ZuschauerInnen durch mehr malerische Landschaftsaufnahmen, Stadtbilder, Straßenszenen, farbenfrohe Gewänder und nutzt so die Stärken des Farbfilms. 2 sehr ruhige Kameraführung; keine schnellen Schwenks oder Veränderung der Bildgröße durch Zoomen. oft auch langes Verweilen der Kamera bei einer Einstellung Kamerabewegung Kamera hat oft einen festen Stand(platz), von dem aus das Geschehen eingefangen wird (BeobachterInnenhaltung beim Publikum wird dadurch verstärkt) In manchen Szenen wird die distanzierte BeobachterInnenrolle zum Geschehen auch durch das Aufnehmen von Figuren aus der Entfernung (umrisshaft) unterstützt (z. B. Umarmung von Effi und Crampas am Strand, Spaziergang von Effi mit Mutter, Schlussbild mit Effis Eltern im Garten .) mehr Bewegung in der Kameraführung, auch mehr Bewegung der Objekte bzw. Personen (Kutschen, Figuren) z. B. wird das Gespräch Innstettens mit Crampas über den Sinn von Vorschriften und Regeln (Crampas: „Muss denn alles immer so gesetzlich sein) auf dem ersten gemeinsamen Ausritt mit Effi (zu dritt) nicht beim Picknick am Strand (Ruheposition) gezeigt, sondern sie unterhalten sich während des Reitens auf den Pferden. Kamerafahrten werden nur selten eingesetzt; wenn dann parallel zu den sich in die gleiche Richtung bewegenden Figuren (z. B. Spaziergang Effis mit Mutter in der Verlobungszeit, Effi und Innstetten auf der Kutsche) „subjektive Kamera kommt vor; sie erhöht die emotionale Beteiligung des Zusehers/der Zuseherin, da er die Sichtweise (im wahrsten Sinne des Wortes) der Figur übernimm (z. B. als Effi zum ersten Mal ins Haus des Barons kommt, sehen wir die Einrichtungsgegenstände aus ihrer Perspektive, die Kamera folgt auch den Blicken Effis) die sogenannte „subjektive Kamera, die es uns ermöglicht, das Geschehen aus der Perspektive einer Figur zu sehen, kommt praktisch nicht vor. Darstellung des Geschehens wirkt oft ausschnitthaft (Figuren sind einfach im Zimmer, in einer bestimmten Konstellation; Vorgeschichte wird nicht gezeigt, d. h. es wird nicht gezeigt, wie sie in diese Position gelangt sind – z. B. durch Hereinkommen bei einer Tür etc.); In den Szenen nur minimal notwendige Bewegung (auch der Figuren) gezeigt, manchmal wirken sie wie Standbilder (siehe „Fotoalbum-These) oder haben etwas Statuenhaftes, was die Starre und Steifheit des Milieus und der Gesellschaft, in der sich die Figuren bewegen, verstärkt. Andererseits: die spontan gemachten Bewegungen gewinnen an Ausdruckskraft und Bedeutung (z. B. spontanes Hinknien Effis vor Innstetten – mit Handkuss – als er ihr mitteilt, dass sie Kessin verlassen und nach Berlin ziehen würden) Tendenz zu Brustbildern/Nahaufnahmen (wie z. B. Sprecher/innen von Nachrichtensendungen) und Großaufnahmen (nur Kopf bis Schulteransatz), die die Aufmerksamkeit und Konzentration auf das Innenleben und die Emotionen der Figuren richten (besonders, wenn diese sprechen; im Roman und bei Fassbinder steht das Innenleben bei Effi oft im Kontrast zum Gesagten) 1 Kameraeinstellungen (Einstellungsgrößen) Weitaufnahmen: Panorama, Landschaft, Außenansicht von Häusern (Orientierung, Atmosphäre) Totalaufnahme: wie Weiteinstellung, aber stärker handlungsbezogen, Bewegungen können stärker wahrgenommen werden; Halbtotale: Personen werden in ihrer vollen Körpergröße (und Körpersprache) in ihrer Umgebung gezeigt (Einordnung der Figuren in eine Situation, in ein Milieu .), Mimik und Gestik noch nicht klar sichtbar; mehr Weit-, Total- und Halbtotaleinstellungen1 als bei Fassbinder Wirkung: Atmosphäre, Dekor, Umgebung wird mehr gezeigt als bei Fassbinder, was dem Publikum mehr äußere Orientierung (aber auch mögliche Ablenkung) bietet und die Schaulust des Publikums generell mehr befriedigt. 3 mehr Innenaufnahmen (Innenräume); Außenaufnahmen deuten auch auf Situationen hin, die den Figuren, besonders Effi, mehr Freiheiten – auch im gesellschaftlichen Sinn bieten (z. B. Schaukel und Garten in Hohen-Cremmen, Ausritte mit Crampas, Treffen am Strand, erster Kuss auf Kutschenfahrt . kein Kontrast zwischen Innen- und Außenaufnahmen, der einen Zusammenhang mit der Befindlichkeit der Figuren oder für die Gesamtinterpretation zuließe. Kamera nimmt Figuren durch die Rahmen von Glasfenstern oder –türen, teilweise auch durch Vorhänge etc. wahr (Figuren bewegen sich auch gesellschaftlich in einem festgefügten Rahmen; sie wirken aber in ihrer Persönlichkeit dadurch auch oft zerstückelt, als ob sie sich hinter Gittern bewegten, was deren Gefangensein in gesellschaftlichen Zwängen unterstreicht. Gesichter und Situationen werden oft gebrochen durch einen Spiegel gefilmt (wiederum: Distanz des Betrachters erhöht, da Kamera nicht direkt auf Figur ruht, sondern sie indirekt über den Spiegel filmt): lässt Deutung zu, dass wir die Figuren so wie diese sich selbst im Spiegel der Gesellschaft sehen, nicht als das, was sie wirklich sind, sondern als das, was sie nach außen hin repräsentieren, verkörpern. Wenn Effi in den Spiegel schaut, kann das auf der Ebene der Oberflächenhandlung oder psychologisch als Zeichen ihrer Eitelkeit oder auch Einsamkeit (Zurückgeworfensein auf sich selbst) interpretiert werden, aber im weiteren Sinn auch als Suche nach sich selbst im Spiegelbild (im Barock war Spiegel Symbol für die Aufforderung zur Selbsterkenntnis) verstanden werden. Der Roman zeigt, dass sie sich selbst nicht findet, nicht verwirklichen kann, was sie innerlich gerne sein will. grundsätzlich sehr minimalistisch (nur das Notwendigste wird gezeigt, nichts Überflüssiges, nichts, was nur dem Dekor dient) sowohl in der Bildsprache als auch in den Dialogen Die im Buch oft langen Dialoge sind auf das Wesentliche reduziert – wodurch aber eine sehr große sprachliche Dichte entsteht (jedes Wort, jeder Satz gewinnt an Gewicht) Sprachebenen (zusätzlich zur Bildebene) a) Figurensprache b) Erzählerkommentar aus dem Off c) Inserts: Textzitate zwischen den Szenen (Stummfilm!) Fassbinder trennt die oben genannten Ebenen manchmal: Auktorialer Erzählerkommentar kommentiert das Geschehen (rational, Distanz) Erzähler berichtet Dialog zwischen den Figuren, die gar nicht oder als stumme Gegenüber gezeigt werden; oder: bei der ersten Begegnung zwischen Crampas und Effi hören wir das Kind aus dem Off schreien (ohne dass die Kamera uns das Verhältnis zwischen Bildsprache und gesprochener Sprache tendenziell wird mehr gesprochen, die Dialoge Fontanes in längerer Form eingebaut; nur Figurensprache, kein Kommentar eines Erzählers aus dem Off (oder in Schriftform): stützt die Identifikationshaltung der ZuschauerInnen, die im Geschehen mitfühlen und geistig mithandeln Gleichzeitigkeit von Bildern und Figurensprache Die Bilder unterstreichen und illustrieren das Gesagte, das die Handlung vorrangig vorantreibt, in größerem Maße als bei Fassbinder. Sie sind weniger eigenständig als Botschaft zu verstehen 4 Baby zeigt), während die Kamera auf Effis Gesicht ruht. die Bilder stehen dem Gesagten fast gleichwertig gegenüber, d. h., was durch die Bildsprache vermittelt wird, ist gleich bedeutend wie das, was gesagt wird. Beide Ebenen ergänzen sich, sind aber nie redundant, d. h. drücken nicht dasselbe noch einmal in anderer Form aus (es wird nicht etwas Gesagtes zusätzlich gezeigt oder umgekehrt) kommt sparsam vor in Form von: wie bei Fassbinder. Musik a) Musikeinspielungen am Ende von Szenen (teilt Film in Sequenzen, reißt ZuseherInnen auch wieder aus der dargestellten Szene heraus, Art Signal für Szenenschluss) b) Figuren singen oder spielen (Klavier) – vom Darstellungsprinzip her ganz realistisch c) keine Musik, die die Handlung durchgehend begleitet oder untermalt oder nur als Stimmungsverstärker dient Szenen werden durch weißes Aufblenden voneinander klar getrennt; es entstehen Pausen (Nachdenkpausen) durch musikalisches Signal und durch helles Aufblenden, teilweise auch durch Einblenden von Textzitaten in Schriftform. Handlung wirkt dadurch nicht wie aus einem Guss dargestellt, sondern in Einzelszenen aufgelöst, was wiederum die Identifikationsmöglichkeiten für die ZuschauerInnen verringert. Publikum wird aus der Illusion, dass die Handlung hier und jetzt abläuft und es sich emotional in diese hineinversetzen kann, immer wieder herausgerissen, was das Betrachten des Gesehenen aus einer gewissen Distanz und eher mit kognitiver als mit einfühlender Haltung möglich macht. Durch das „Unterbrechen der durch Bilder dargestellten Handlung (s. oben) wird dem Zuschauer/der Zuschauerin auch mehr Raum für eigene Gedanken, Gefühle und Betrachtungen während des Films eingeräumt. Rhythmus des Films ist eher langsam, was nicht nur durch die Schnitte, sondern durch die ruhige Kameraführung und das lange Verweilen der Kamera auf bestimmten Einstellungen erzeugt wird (BetrachterInnen haben mehr Zeit zum Hinschauen, zwingt aber auch zu Konzentration) Montage (Schnitte, Schnittfolgen – und -tempo) erzeugen bestimmten Rhythmus fast durchgehende Filmmusik, die die Handlung musikalisch untermalt und Gefühle und Stimmungen (Spannung, Angst, Wut, Zärtlichkeit, .) verdeutlicht. Diese Technik ist eher konventionell (üblich) und hebt sich nicht von der Mehrheit der Filme ab, bedient also wieder die dem Publikum vertrauten Mittel der Filmgestaltung. Die Filmmusik steuert aber auf sehr subtile Weise die Wirkung auf die ZuschauerInnen, d. h. eine bestimmte Art von Musik gibt dem Publikum ziemlich klar vor, was es nun zu fühlen hat. Die Art der Musik steht nie im Kontrast zur dargestellten Handlung, sondern wirkt nur verstärkend. Szenen gehen ineinander unmerklich über, ein fließender Rhythmus entsteht keine auffallende Abweichung von der Mehrheit der Filme, was die Schnittmuster oder den Rhythmus anbelangt (Wechsel zwischen Ruhe und Bewegung, Innen- und Außenaufnahmen in herkömmlicher Form, die den ZuseherInnen Abwechslung und Vielfalt bietet). Bei Luderer kommen Szenen vor, die im Roman nicht genauer oder gar nicht beschrieben werden (z. B. Hochzeitsfeier, Kussszene in der Kutsche .), dafür aber bleibt offen, ob Effi am Ende jung stirbt oder nicht (Anpassung an Publikumsgeschmack) Schnitte erzeugen schnelleren Rhythmus als bei Fassbinder hält sich in allem sehr an den Stil und die Intention des Fontaneschen Romans, der bewusst die genaue Beschreibung von (unschicklichen) Intimitäten zwischen Crampas und Effi ausspart (siehe „poetischer Realismus), auch die Hochzeitsfeier wird im Buch nicht ausgeführt. Fassbinder, Schnitttempo entspricht den in den 70er Jahren üblichen Konsumgewohnheiten der ZuseherInnen, das Schnitttempo ist also als „normal zu bezeichnen, wodurch daraus auch keine besondere Wirkung entsteht.