Arbeitsblatt: Fabeln

Material-Details

Interpretation einer Fabel von Phaedrus
Deutsch
Anderes Thema
8. Schuljahr
2 Seiten

Statistik

5883
838
9
02.04.2007

Autor/in

Steger Patrick


Land: Schweiz
Registriert vor 2006

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Textauszüge aus dem Inhalt:

Interpretation einer Fabel von Phaedrus Das Lamm und der Wolf Ein Lämmchen löschte an einem Bache seinen Durst. Fern von ihm, aber näher der Quelle, tat ein Wolf das gleiche. Kaum erblickte er das Lämmchen, so schrie er: Warum trübst du mir das Wasser, das ich trinken will? Wie wäre das möglich, erwiderte schüchtern das Lämmchen, ich stehe hier unten und du so weit oben; das Wasser fließt ja von dir zu mir; glaube mir, es kam mir nie in den Sinn, dir etwas Böses zu tun! Ei, sieh doch! Du machst es gerade, wie dein Vater vor sechs Monaten; ich erinnere mich noch sehr wohl, daß auch du dabei warst, aber glücklich entkamst, als ich ihm für sein Schmähen das Fell abzog! Ach, Herr! flehte das zitternde Lämmchen, ich bin ja erst vier Wochen alt und kannte meinen Vater gar nicht, so lange ist er schon tot; wie soll ich denn für ihn büßen. Du Unverschämter! so endigt der Wolf mit erheuchelter Wut, indem er die Zähne fletschte. Tot oder nicht tot, weiß ich doch, daß euer ganzes Geschlecht mich hasset, und dafür muß ich mich rächen. Ohne weitere Umstände zu machen, zerriß er das Lämmchen und verschlang es. Das Gewissen regt sich selbst bei dem größten Bösewichte; er sucht doch nach Vorwand, um dasselbe damit bei Begebung seiner Schlechtigkeiten zu beschwichtigen Interpretation Die vorliegende Fabel „Wolf und Lamm ist von Phädrus verfaßt worden, wobei die ursprüngliche Idee von Äsop, einem griechischen Sklaven, stammt. Äsop ist zugleich der Begründer dieser Textsorte. Er lebte um 600 vor Christus. Er fiel wahrscheinlich falschen Anschuldigungen zum Opfer und wurde getötet. Fabeln benutzte er, da ihn die Einstellung seiner Gesprächspartner daran hinderte, seine Botschaft bzw. sein Anliegen direkt auszusprechen. Sein Kritik wurde hinter Tiercharakteren versteckt. Phädrus war der erste Fabeldichter der Römer. Er lebte zur Zeit des Augustus. Er griff die Idee der Tiergeschichte auf, verfasste seine Fabeln aber immer in Versen. Phädrus diente später Lessing und Lafontaine als Vor- oder Gegenbild. So entstand eine Tradition, die von dem sagenumwobenen Äsop vorklassischer Zeit bis in die Gegenwart reicht. Die Fabel schildert das Zusammentreffen von einem Wolf und einem Lamm an einem Bach. Beide haben Durst und trinken an verschiedenen Plätzen. Der Wolf, der außerdem hungrig ist, beginnt sofort, sich mit dem Lamm zu streiten. Er behauptet, das Lamm würde sein Wasser „trüben, was aber gänzlich unmöglich ist, da aufgrund der Stromrichtung der Bach zuerst den Wolf passiert. Der Wolf, der gemeint hat, er habe einen Grund gefunden, um das Lamm zu nötigen, ist blamiert. Das Lamm ist schlauer, als er vermutet hat. Trotzdem versucht der Wolf noch einmal, das Lamm zu beschuldigen. Diesmal behauptet er, daß das Lamm ihn „vor sechs Monden geschmäht habe. Natürlich ist der „Wollenträger nun irritiert. Schließlich hat er zu dieser Zeit noch gar nicht gelebt. Der Wolf gerät aus der Fassung und wird wütend. Zornig schreit er, daß es dann der Vater gewesen sei. Er stürzt sich auf das Lamm und zerfleischt es. Der Wolf nutzt seine Stärke aus und versucht — letzten Endes vergeblich — seine Handlungsweise mit fadenscheinigen Gründen zu rechtfertigen Auffällig ist die unterschiedliche Darstellung der beiden Hauptcharaktere Wolf und Lamm. Sie gerät geradezu zum typischen Klischee. Der Wolf steht für das Böse, er ist der „Räuber, also der Verbrecher. Phädrus scheint innerhalb seiner jambischen Versform darauf zu achten, daß der Wolf nur mit Wörtern gekennzeichnet wird, die eine negative Bedeutung haben. Er ist ein räuberisches, kraftvolles und reißerisches Tier ohne Vorstellungen von Moral und Recht. Im Gegensatz dazu steht das Lamm. Gänzlich unschuldig wird es zum Opfer. Es steht für das Gute, das sich nicht wehren kann. Es ist unschuldig, bescheiden und hilflos. Es braucht nicht andere Tiere zu töten, um zu überleben Die Moral steht sofort unter der Fabel. Sie richtet sich eindeutig gegen die, die ihre Machtstellung ausnutzen, um ihre eigenen Vorteile zu haben. In dieser Fabel ist es offensichtlich, dass sich der Wolf gegen Wahrheit und Gerechtigkeit vergeht und versucht, sich durch irgendwelche Gründe von irgendeiner Schuld oder Verantwortung loszusprechen. Rücksichtslos vertritt er seine Interessen, nur sein Hunger zählt. Seine Argumentation ist lächerlich — er müßte eigentlich der Macht der Wahrheit erliegen. Aber er setzt sich durch. Zur historischen Deutung: Zum besseren Verständnis der Fabel muß man sich wohl die Zeit Äsops vor Augen halten. Dadurch wird erst die wichtige Funktion der Fabel bewußt. Im 6. Jahrhundert vor Christus hatten die Menschen keineswegs gleiche Rechte. Macht ging vor Recht. Auch von einer Demokratie war man noch weit entfernt. Die politische Macht war abhängig vom Besitz, vom Anteil an Grund und Boden. Das bedeutet, daß die Menschen Alleinherrschern oder Adelsgeschlechtern ausgeliefert waren. Nur der Adel hatte Reichtümer in Form von Ländereien und somit entsprechende Privilegien. Die Adelsgeschlechter hatten außerdem die aus dem Grundbesitz resultierende Kontrolle des Gerichtswesens. In unserer Fabel wird der Gegensatz zwischen Adel und Volk in den Figuren des Wolfs und des Lamms dargestellt.] Die Fabel hat eindeutig lehrhaften Charakter. Sie bringt ihre Lehre, als Tiergeschichte verkleidet, indirekt an; und sie fordert indirekt auf, die unhaltbaren Zustände zu ändern. Sie fordert eine andere menschliche Ordnung und ein anderes Verhalten der Herrschenden Dass solche Kritik immer noch aktuell ist, zeigen die vielen immer noch diktatorisch regierten Staaten. Die Fabel bleibt über die Jahrhunderte hinweg modern. Immer noch steht der Wolf für den Diktator, der seine Macht gegen das Recht durchsetzt, aber doch den Schein der Rechtmäßigkeit wahren möchte. Das Lamm aber steht für die vielen, die zu schwach sind, sich zu wehren, obwohl das Recht offensichtlich auf ihrer Seite ist. Aber auch außerhalb der Politik hat die Fabel Aussagekraft.