Arbeitsblatt: Wir Kinder vom Bahnhof ZOO

Material-Details

Buch: wir kinder vom Bahnhof ZOO
Deutsch
DaZ
3. Schuljahr
20 Seiten

Statistik

70186
1834
18
28.10.2010

Autor/in

Daniel Makus
Land: Schweiz
Registriert vor 2006

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Textauszüge aus dem Inhalt:

,,Wir Kinder vom Bahnhof Zoo Gropiusstadt, das sind Hochhäuser für 45.000 Menschen, dazwischen Rasen und Einkaufszentren. Von weitem sah alles neu und sehr gepflegt aus. Doch wenn man zwischen den Hochhäusern war, stank es überall nach Pisse und Kacke. Das kam von den vielen Hunden und den vielen Kindern, die in Gropiusstadt leben. Am meisten stank es im Treppenhaus. Meine Eltern schimpften auf die Proletenkinder, die das Treppenhaus verunreinigten. Aber die Proletenkinder konnten meist nichts dafür. Das merkte ich schon, als ich das erste Mal draußen spielte und plötzlich musste. Bis endlich der Fahrstuhl kam und ich im 11. Stockwerk war, hatte ich in die Hose gemacht. Mein Vater verprügelte mich. Als ich es ein paarmal nicht geschafft hatte, von unten rechtzeitig in unser Badezimmer zu kommen und Prügel bekam, hockte ich mich auch irgendwo hin, wo mich niemand sah. Da man aus den Hochhäusern fast in jede Ecke sehen kann, war das Treppenhaus der sicherste Platz. Auf der Straße blieb ich auch in Gropiusstadt erst mal das dumme Kind vom Land. Ich hatte nicht dieselben Spielsachen wie die anderen. Nicht einmal eine Wasserpistole. Ich war anders angezogen. Ich sprach anders. Und ich kannte die Spiele nicht, die sie da spielten. Ich mochte sie auch nicht. In unserem Dorf waren wir oft mit dem Fahrrad in den Wald gefahren, zu einem Bach mit einer Brücke. Da hatten wir Dämme gebaut und Wasserburgen. Manchmal alle zusammen, manchmal jeder für sich. Und wenn wir es hinterher wieder kaputtgemacht haben, dann waren wir alle damit einverstanden und hatten zusammen unseren Spaß. Es gab auch keinen Anführer bei uns im Dorf. Jeder konnte Vorschläge machen, was gespielt werden sollte. Dann wurde solange rumgekrakeelt, bis sich ein Vorschlag durchgesetzt hatte. Es war gar nichts dabei, wenn die Älteren mal den Kleinen nachgaben. Es war eine echte Kinder-Demokratie. In Gropiusstadt, in unserem Block, war ein Junge der Boss. Er war der Stärkste und hatte die schönste Wasserpistole. Wir spielten oft Räuberhauptmann. Der Junge war natürlich der Räuberhauptmann. Und die wichtigste Spielregel war, dass wir alles zu tun hatten, was er befahl. Sonst, spielten wir mehr gegeneinander als miteinander. Es ging eigentlich immer darum, den anderen irgendwie zu ärgern. Zum Beispiel, ihm ein neues Spielzeug wegzunehmen und kaputtzumachen. Das ganze Spiel war, den anderen fertigzumachen und für sich selbst Vorteile herauszuschinden, Macht zu erobern und Macht zu zeigen. Die Schwächsten kriegten die meisten Prügel. Meine kleine Schwester war nicht sehr robust und ein bisschen ängstlich. Sie wurde ständig vertrimmt und ich konnte ihr nicht helfen. Ich kam zur Schule. Ich hatte mich auf die Schule gefreut. Meine Eltern hatten mir gesagt, dass ich mich da immer gut benehmen müsse und zu tun hätte, was der Lehrer sagt. Ich fand das selbstverständlich. Auf dem Dorf hatten wir Kinder Respekt vor jedem Erwachsenen. Und ich glaube, ich freute mich, dass nun in der Schule ein Lehrer sein würde, dem auch die anderen Kinder gehorchen mussten. Aber es war ganz anders in der Schule. Schon nach ein paar Tagen liefen Kinder während des Unterrichts in der Klasse herum und spielten Kriegen. Unsere Lehrerin war völlig hilflos. Sie schrie immer hinsetzen. Aber dann tobten die nur noch doller und die anderen lachten. Ich habe Tiere schon als ganz kleines Kind geliebt. In unserer Familie waren alle wahnsinnig tierlieb. Deshalb war ich stolz auf unsere Familie. (.) Und mir taten die Kinder Leid, deren Eltern keine Tiere mochten und die auch keine Tiere geschenkt bekamen. Unsere Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung wurde mit der Zeit ein kleiner Zoo. Ich hatte später vier Mäuse, zwei Katzen, zwei Kaninchen, einen Wellensittich und Ajax, unsere braune Dogge, die wir schon nach Berlin mitgebracht hatten. (.) Ich wäre ganz glücklich mit meinen Tieren gewesen, wenn es mit meinem Vater nicht immer schlimmer geworden wäre. Während meine Mutter arbeitete, saß er zu Hause. Mit der Ehevermittlung war es ja nichts geworden. Nun wartete mein Vater auf einen anderen Job, der ihm gefiel Er saß auf dem abgeschabten Sofa und wartete. Und seine irrsinnigen Wutausbrüche wurden immer häufiger. Schularbeiten machte meine Mutter mit mir, wenn sie von der Arbeit kam. Ich hatte eine Zeitlang Schwierigkeiten, die Buchstaben und auseinanderzuhalten. Meine Mutter erklärte mir das eines Abends mit einer Affengeduld. Ich konnte aber kaum zuhören, weil ich merkte, wie mein Vater immer wütender wurde. Ich wusste immer, wann es gleich passierte: Er holte den Handfeger aus der Küche und drosch auf mir rum. Dann sollte ich ihm den Unterschied von und erklären. Ich schnallte natürlich überhaupt nichts mehr, bekam noch einmal den Arsch voll und musste ins Bett. Das war seine Art mit mir Schularbeiten zu machen. Er wollte, dass ich tüchtig bin und was Besseres werde. Schließlich hatte sein Großvater noch unheimlich Kohle gehabt. Ihm gehörte in Ostdeutschland sogar eine Druckerei und eine Zeitung, unter anderem. Nach dem Krieg war das in der DDR alles enteignet worden. Nun flippte mein Vater aus, wenn er glaubte, ich würde in der Schule was nicht schaffen.