Arbeitsblatt: Dossier zur Einleitung in die Französische Revolution

Material-Details

Ursachen, Ereignisse, Quellen
Geschichte
Neuzeit
12. Schuljahr
30 Seiten

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15.03.2011

Autor/in

Corinne Ammann
Land: Schweiz
Registriert vor 2006

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Textauszüge aus dem Inhalt:

Revolutionen in Europa – Die Französische Revolution Revolutionen in Europa: Die Französische Revolution 1789 Jean Jacques le Barbier: „Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, 1789/90 1 Revolutionen in Europa – Die Französische Revolution Einleitung: „C‘est une révolution! „Non, Sire, c‘est une révolutionl, antwortete der Herzog von Liancourt dem französischen König, als dieser den Sturm auf die Bastille am 14.Juli 1789 als eine Revolte bezeichnete. Diese Episode wird in fast allen Darstellungen der Französischen Revolution erzählt. Sie soll verdeutlichen, dass Ludwig XVI. im Juli 1Z89 die Tragweite des Geschehens noch nicht erkannt hatte. Unruhen und Revolten waren dem König geläufig, denn es hatte sie im Frankreich des 18. Jahrhunderts in Krisensituationen immer wieder gegeben. Der Sturm der Pariser Bevölkerung auf die Bastille, das Symbol königlicher Macht, liess sich nach der Meinung des Herzogs jedoch nicht mehr in diese Kategorie einordnen. Er markierte den Beginn einer Revolution. Wusste der König überhaupt, was eine Revolution war? Verstand er dasselbe darunter wie wir? Das ist nicht sicher, denn die Bedeutung des Begriffs hat sich gewandelt. Nach modernem Verständnis ist eine Revolution eine „grundlegende Umgestaltung der gesellschaftlichen Struktur, der politischen Organisation sowie der kulturellen Wertvorstellungen in einem bestimmten geografischen Bereich (Meyers Taschenlexikon Geschichte), die sich zudem in einem kurzen Zeitraum vollzieht. Diese moderne Definition von Revolution beruht jedoch ganz wesentlich auf der Erfahrung der Französischen Revolution, die zum Vorbild aller modernen Revolutionen wurde. An ihr orientieren sich unsere Begriffsbestimmungen und Revolutionstheorien. Konnte der französische König also wissen, was eine Revolution war? Ursprünglich gehörte das vom lateinischen „revolvere zurückwälzen, zurückkehren abgeleitete Substantiv zur Fachsprache der Astronomie. Es bezeichnete die Vollendung des Umlaufs eines Planeten, die Rückkehr zu seinem Ausgangspunkt. Schon früh wurde der Begriff allerdings in die politische Sprache übertragen. Hier bedeutete Revolution seit der Spätantike die Wiederherstellung eines früheren, meist als besser angesehenen Zustands einer Gesellschaft oder einer staatlichen Ordnung, wie z.B. noch in der „Glorious Revolution von 1688 in England. Revolution drückte ursprünglich also genau das Gegenteil von dem aus, was wir heute darunter verstehen: nicht den Durchbruch zu etwas Neuem, sondern die Rückkehr zum „Altbewährten. Diesen Vorgang nennen wir heute Restauration. Das moderne Verständnis von Revolution hatte sich allerdings schon vor der Französischen Revolution angebahnt. Seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert definierten Lexika den Begriff als plötzliche oder gewaltsame Transformation der politischen Ordnung eines Staates. Und seit der Mitte des 18. Jahrhunderts galten Revolutionen in der Philosophie und Geschichtsschreibung der Aufklärung als zentrale Elemente historischen Fortschritts. Der amerikanische Unabhängigkeitskrieg und die daraus hervorgegangene demokratische Verfassung der USA wurden gerade in Frankreich bereits von den Zeitgenossen als Revolution in diesem neuen Sinn bezeichnet. Der Herzog von Liancourt und der französische König konnten im Juli 1789 den Begriff Revolution somit als „grundlegende Umgestaltung der Verfassung und Struktur des Staates verstehen auch wenn ihm zu diesem Zeitpunkt weder die historische Bedeutung des Bastillesturms noch die weitere Entwicklung klar sein konnten. Ein neues Geschichtsbild entsteht Seit der Französischen Revolution ist der neue Revolutionsbegriff nicht nur fester Bestandteil unserer politischen Sprache, sondern besitzt auch eine wichtige Funktion in unserer Vorstellung vom Ablauf und von den Wirkkräften der Geschichte. Im Gegensatz zu der stark von religiös-heilsgeschichtlichen Aspekten bestimmten Geschichtsauffassung des Mittelalters und der Frühen Neuzeit ist Geschichte für den modernen Menschen gleichbedeutend mit innerweltlicher 2 Revolutionen in Europa – Die Französische Revolution Veränderung, mit Bewegung und vielfach auch mit wirtschaftlichem, sozialem und politischem Fortschritt. Revolutionen spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie gelten geradezu als „Motoren des Fortschritts. Am deutlichsten ist dies in der marxistischen Geschichtstheorie der Fall. Nach ihr werden Gesellschaften durch Revolutionen auf eine höhere Stufe ihrer Entwicklung geführt, weil Revolutionen die Widersprüche lösen, die sich aus verschiedenen Entwicklungsgeschwindigkeiten gesellschaftlicher Teilbereiche ergeben haben. Dies gilt vor allem für die Widersprüche zwischen der wirtschaftlichen Macht und den politischen Partizipationsmöglichkeiten gesellschaftlicher Gruppen, die sich im Laufe der historischen Entwicklung der Produktivkräfte herausbilden. Revolutionen markieren nach marxistischer Auffassung die Übergänge zwischen verschiedenen Gesellschaftsformationen, in der Neuzeit besonders die zwischen der feudalen, der kapitalistischen und der sozialistischen Gesellschaft. Die marxistische Revolutionstheorie spricht deshalb von „bürgerlichen und „sozialistischen Revolutionen und ordnet die Französische Revolution in die Kategorie der „bürgerlichen Revolutionen ein. Auf der Grundlage der sich entfaltenden kapitalistischen Wirtschaftweise hätte hier das Bürgertum erstmals die politische Macht errungen. Auf die bürgerlichen Revolutionen folge dann durch die neuen Widersprüche in den Produktionsverhältnissen der kapitalistischen Gesellschaft zwangsläufig eine sozialistische Revolution, in der die Arbeiterklasse die Macht erringen würde. Dies nicht zuletzt auf der Grundlage der historischen Analyse der Französischen Revolution durch Marx und Engels formulierte Theorie hat in der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts bekanntlich eine grosse historische Wirksamkeit entfaltet und die Französische Revolution immer wieder zum Bezugspunkt revolutionärer Bewegungen werden lassen. Die nicht-marxistische Geschichtsschreibung hat zwar die marxistische Einordnung der Französischen Revolution in einen universalhistorischen Zusammenhang zu Recht in Zweifel gezogen, stuft sie aber mehrheitlich ebenfalls als fortschrittlich und daher positiv ein. Die „Grosse Französische Revolution habe die Grundlage zur Durchsetzung der modernen demokratischen Staats-und Gesellschaftsordnungen in Europa gelegt und die Ablösung des weitgehenden Monopols des Adels auf die politische Führung im Staat einleitet. Sie galt deshalb lange als entscheidende Epochengrenze (Zäsur), als Ende des so genannten Ancien Régime und Durchbruch in der Moderne. Heute wird die „epochale Bedeutung der Französischen Revolution in der historischen Forschung in der Regel etwas zurückgenommen. Im Bereich der Wirtschafts- und Sozialverfassung seien viele Elemente der feudalen Gesellschaft in Frankreich schon vor der Revolution nicht mehr von grosser Bedeutung gewesen, andere Bereiche wie z. B. die Familienstrukturen oder das Geschlechterverhältnis hätten sich dagegen durch die Revolution nicht nachhaltig gewandelt. Im politischen Bereich sei zwar die erstmalige Verankerung der Menschenrechte und der repräsentativen Demokratie in einer europäischen Verfassung bedeutsam gewesen. Prägend gewirkt hätte hier aber das Vorbild der Vereinigten Staaten, die 1776 mit der Unabhängigkeit von England die aufgeklärten Ideen in einem demokratischen Staat umsetzten. Die Französische Revolution sei deshalb auch in politischer Hinsicht nicht „einzigartig, sondern gehöre in einen breiteren Kontext demokratischer Bewegungen in Europa und Nordamerika im Zeitraum zwischen 1763 und 1800. Die Ereignisse in Frankreich werden deshalb von mehreren Historikern auch als Teil einer „atlantischen Revolution interpretiert. Dennoch stellte die Französische Revolution für Europa zweifellos einen gewichtigen Einschnitt dar. Fragen: 3 Revolutionen in Europa – Die Französische Revolution 1. Was fällt Ihnen ein, wenn Sie den Begriff „Revolution hören? Erstellen Sie ein Mindmap. 2. Wie untersucht man eine Revolution? Erstellen Sie ein Frageraster. 3. Erarbeiten Sie anhand der Einführung allgemeine Merkmale von Revolutionen. 4. Erörtern Sie Wege, gesellschaftliche Konflikte zu lösen. 5. Definieren Sie „Reform, „Restauration, „Evolution und „Revolution. Ziehen Sie Lexika zu Rate. Krise ohne Ausweg? Zu den Ursachen der Französischen Revolution Wir sprechen in der Regel, ohne zu zögern, von „der Französischen Revolution. Aber war diese Revolution wirklich eine Einheit? Diese Frage wurde in der Geschichtswissenschaft viel diskutiert. Dahinter stehen grundsätzliche Probleme der Interpretation der Ursachen und des Ablaufs der Revolution. Wird die Revolution als ein einheitlicher Ereignis- und Handlungszusammenhang aufgefasst, dann bedeutet dies, dass die Menschen damals alle weitgehend übereinstimmende Interessen und Ziele besassen, dass ein einheitlicher Ursachenkomplex für den Ausbruch der Revolution verantwortlich und die Revolution deshalb kein zufälliges, sondern ein historisch notwendiges Ereignis war. Die Französische Revolution wird heute jedoch nicht mehr als eine einheitliche Revolution angesehen, sondern als ein komplexer, aus verschiedenen Handlungssträngen zusammengesetzter Prozess. Zu der Verfassungsrevolution der Bürger stiessen die sozialrevolutionären Bestrebungen der Bauern und der städtischen Unter- und Mittelschichten, und am Anfang stand als beschleunigender Faktor sogar eine „Vorrevolution der Oberschichten, die häufig auch als „Revolte des Adels bezeichnet wird. Die Frage nach den Ursachen der Revolution muss diese verschiedenen Trägerschichten und ihre spezifischen Probleme und Ziele berücksichtigen. Zugleich muss sie nach den Bedingungen fragen, die es ermöglichten oder erzwangen, dass die verschiedenen Ebenen der Revolution sich gegenseitig unterstützten und verstärkten. Nur so lässt sich die Frage nach „Zufall oder „Notwendigkeit der Revolution und ihres spezifischen Verlaufs sinnvoll beantworten. Es sind im Wesentlichen drei Problemkomplexe, die man bei der Suche nach den Ursachen der Revolution zu beachten hat: die politische Krise des Ancien Régime, die Folgen der Aufklärung und die wirtschaftliche und soziale Lage der Bevölkerung. Die politische Krise des Ancien Régime Am Anfang der Revolution stand der Widerstand des Adels, des hohen Klerus und teilweise auch der privilegierten Eliten aus dem Finanz-, Handels- und Gewerbebürgertum. Sie wehrten sich nicht nur gegen die absolutistische Regierungsform des französischen Königs und seiner Verwaltungsbürokratie, sondern auch gegen deren Reformversuche. Dieser Widerstand spitzte sich in der so genannten Vorrevolution des Adels zu. Sie entzündete sich am Versuch des Königs bzw. seiner Finanzminister, die Privilegien von Adel und Klerus, die von einem grossen Teil der Staatssteuern befreit waren, aufzuheben oder einzuschränken. Dies schien der einzige Weg, um die enormen Staatsschulden abzubauen. An den Auseinandersetzungen um die Steuerprivilegien von Adel und Klerus zeigen sich verschiedene Dimensionen der politischen Krise des Ancien Régime: 4 Revolutionen in Europa – Die Französische Revolution 1. Die enorme Schuldenlast des Staates war ganz wesentlich eine Konsequenz der „amphibischen Lage (Skocpol), in der sich Frankreich als Land- und Seemacht befand: Der traditionelle Grundsatz französischer Aussenpolitik war es, stärkste Macht auf dem europäischen Kontinent zu sein. Dies erforderte erhebliche militärische Anstrengungen und die Beteiligung an praktisch allen europäischen Kriegen. Daneben war Frankreich aber auch See- und Kolonialmacht, wollte es zumindest sein und bleiben, und musste deshalb auch mit England ausserhalb Europas um Einflussgebiete und Anteile am wachsenden Kolonialmarkt ringen. 2. Schulden wegen Kriegen hatten die französischen Könige auch in früheren Jahren gemacht. Es war ihnen jedoch meist gelungen, sie in den Zwischenkriegszeiten wieder einigermassen abzutragen. In den 1780er-Jahren weitete sich die Schuldenkrise, die durch das kostspielige Engagement Frankreichs im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg erneut verschärft worden war zu einer Systemkrise aus. Dadurch sanken die öffentliche Kreditfähigkeit der Regierung und vor allem auch die Bereitschaft der traditionellen Geldgeber der Krone, der Steuerpächter, der verschuldeten Regierung weiterhin Geld zu leihen. Die Toleranz gegenüber den Ausgaben für den Luxus am Hof sank; eine Offenlegung der Einnahmen und Ausgaben wurde gefordert. 3. Die Systemkrise hing eng mit der Tatsache zusammen, dass Frankreich besonders im Siebenjährigen Krieg (1756-63), in dem es mit Österreich gegen Preussen und England verbündet war, einen erheblichen Territorialverlust in Übersee (Indien, Nordamerika) und einen deutlichen Prestigeverlust als europäische Macht hinnehmen musste. Dies schwächte die innenpolitische Stellung der Krone und ihres Verwaltungsapparats. Die Effizienz und die Legitimität der absolutistischen Regierungsweise wurde durch diese aussenpolitischen Misserfolge der Regierung zunehmend in Frage gestellt. 4. Diese Faktoren wirkten sich deshalb so gravierend aus, weil es der Regierung nicht gelang, das ineffiziente und ungerechte Steuersystem so zu reformieren, dass dadurch die regulären Einkünfte des Staates hätten erhöht werden können. Steuern galten nach mittelalterlicher Tradition als ausserordentliche Leistung der Untertanen in Notsituationen. Normalerweise hatte der Monarch seine Ausgaben bzw. die seines Hofstaates und der Regierung aus dem Einkommen aus seinen Eigengütern bzw. Krondomänen zu bestreiten. Die französischen Könige konnten zwar im Laufe des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit eine ganze Reihe von direkten und indirekten Steuern als permanente Abgaben durchsetzen, allerdings nur auf der Basis einer ausserordentlich grossen vertikalen wie horizontalen Steuerungleichheit. Das heisst, die so genannten privilegierten Stände, der Klerus und der Adel, waren von dem grössten Teil der Steuern ausgenommen. Die eigentliche Steuerlast hatten die Bauern und Bürger zu tragen. Aber auch für sie war die Steuerbelastung in den verschiedenen Regionen und Provinzen Frankreichs sehr unterschiedlich. 5. Das zunehmende Legitimitätsdefizit führte dazu, dass neben den Finanzen auch ein sehr grundsätzliches politisches Thema ins Zentrum der öffentlichen Diskussion rückte: die Frage der politischen Repräsentation. Die Kontroverse um diese Frage ging an die geistigen Grundlagen des Ancien Régime. Gegen die traditionelle Auffassung, dass das Staatsganze nur in der Person des Königs repräsentiert sei und bei ihm die eigentliche Souveränität liege, wurde zunehmend ein Organ für die Repräsentation des Willens der Nation gefordert, da diese der eigentliche Träger der Souveränität im Staat sei. 5 Revolutionen in Europa – Die Französische Revolution Diese Diskussionen bestimmten bereits Monate vor dem eigentlichen Beginn der Revolution die öffentlichen Debatten. Die Konfrontation zwischen Monarch und Drittem Stand bzw. auch den reformwilligen Mitgliedern der anderen Stände im Juli 1789 über die Frage der Repräsentation war deshalb keine aus dem Augenblick heraus entstandene Entwicklung. Die Gründung der Nationalversammlung und der Beginn der „Verfassungsrevolution war vielmehr die konsequente Zuspitzung einer schon länger sichtbaren Tendenz. Die Aufklärung War es das zufällige Aufeinandertreffen zahlreicher Konfliktfelder und Krisenerscheinungen, die die Französische Revolution ausgelöst haben, oder bahnte sich in den unterschiedlichen geistigen Bewegungen des 18.Jahrhunderst eine Revolution an? Neuere Untersuchungen betonen heute stärker die Bedeutung eines allgemeinen Mentalitätswandels als gemeinsamer Grundlage. Ins Zentrum rücken sie dabei die allmähliche Auflösung des christlichreligiösen Weltbildes, die sich bis in das ländliche Frankreich hinein feststellen lässt, das Vordringen einer rationalistischen Sicht auf Gesellschaft und Staat und vor allem eine neue Auffassung vom Menschen, seinen Bedürfnissen, Möglichkeiten und Rechten. Die neue Auffassung von Mensch und Gesellschaft wurde vor allem in den gesellschaftlichen Oberschichten rezipiert und diskutiert. Besonders Akademien, Salons und Freimaurerlogen waren wichtige Orte der Verbreitung aufgeklärten Gedankenguts. Letztere verbreiteten sich in Frankreich seit den 1730er-, vor allem aber seit den 1760er-Jahren. Die Grossloge „Grand Orient hatte im Jahr 1789 insgesamt 629 Einzellogen mit etwa 30‘000 Mitgliedern. In den Freimaurerlogen war keineswegs nur das Bürgertum organisiert, ihnen gehörten auch viele Adelige an. Diese Form des standesübergreifenden Zusammenschlusses war eine wichtige Voraussetzung für die Verbreitung radikaler aufklärerischer Kritik an den Strukturen der ständischen Gesellschaft des Ancien Régime und die Rezeption der neuen Ideen von „FreiheitGleichheit Brüderlichkeit unter den Eliten der Gesellschaft. Die Wirkung der Aufklärungsphilosophie strahlte aber weit über diese geschlossenen Gesellschaften hinaus und bestimmte die Diskussionen der politischen Öffentlichkeit. Sie stellte Begriffe und Argumentationsmuster bereit, die auch von den ländlichen und städtischen Mittel- und Unterschichten zur Formulierung ihrer Interessen und Ziele aufgegriffen werden konnten. Die Aufklärung führte dazu, dass traditionelle Wissensbestände auf den verschiedensten Ebenen hinterfragt und durch rationale Erklärungen der Welt verdrängt wurden. Nahmen z.B. in der ersten Hälfte des 18.Jahrhunderts auch die Gelehrten noch an, dass die Welt von Gott geschaffen wurde und erst wenige tausend Jahre alt sei, so war in der zweiten Hälfte zumindest den Intellektuellen auf Grund der Auseinandersetzung mit geologischen Funden klar, dass man bei der Erdgeschichte in Zeiträumen von mehreren hunderttausend Jahren rechnen müsse. Dies warf nicht nur ein neues Licht auf die Entstehung und Entwicklung der natürlichen Welt und auf die Stellung des Menschen in ihr, sondern zugleich auch auf die religiöse Begründung der sozialen und politischen Ordnung des Ancien Régime. Die angeblich mit der Schöpfung etablierte gottgewollte Hierarchie und statische Ordnung der Stände wurde zweifelhaft. Dynamik, Veränderungs- und Anpassungsfähigkeit in allen Bereichen von Gesellschaft und Staat sind seither die Ideale, „Entwicklung und „Fortschritt die zentralen Wertbegriffe der modernen Welt. War das traditionelle Menschenbild davon geprägt, dass der Mensch ein erlösungsbedürftiger Sünder ist, so kennzeichnete den Fortschrittsoptimismus der Aufklärung die Vorstellung, dass die Menschheit durch die richtige Anwendung der Vernunft in der Lage sei, die Formen des 6 Revolutionen in Europa – Die Französische Revolution Zusammenlebens und die materiellen Grundlagen des Lebens ständig zu verbessern. Die „Perfektibilität (Kant) von Mensch und Gesellschaft schien unbegrenzt. Damit eröffnete sich ein ganz neues Verständnis einer im Prinzip offenen, nicht mehr durch die christliche Heilsgeschichte und ihrer Vorstellung von einem baldigen Ende der Welt bestimmten Zukunft. Die Verweltlichung und zeitliche Öffnung des Geschichtshorizonts ist ein ganz wesentliches Kennzeichen des modernen europäisch-westlichen Weltbilds. Sie beruht auch auf einer neuen Wahrnehmung der Kräfte, die das Handeln des einzelnen Menschen und das Funktionieren von Gesellschaften bestimmen. Eine zentrale, autoritäre Steuerung der Gesellschaft schien der schöpferischen Kraft mündiger und vernunftbegabter Individuen immer weniger angemessen. Schon im Jahr 1756 hatte der schottische Moralphilosoph Adam Smith in seinem berühmten Werk über den „Wohlstand der Nationen der Überzeugung Ausdruck verliehen, dass nur eine vom Staat ungehinderte Aktivität der einzelnen Bürger ein kontinuierliches Wirtschaftswachstum garantiere, dass die egoistische Verfolgung der Einzelinteressen in der Summe für das gesamte Gemeinwesen positive Folgen habe. Das vernünftige und mündige Individuum und seine Rechte standen also im Zentrum des politischen, sozialen und wirtschaftlichen Denkens des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Die Überzeugung, dass dem Menschen von Natur aus bestimmte Rechte zukämen, lag den demokratischen Verfassungen und Menschenrechtserklärungen der Amerikanischen wie der Französischen Revolution zu Grunde. Sie markieren einen Bruch mit den Wertvorstellungen der vorangegangenen Zeiten, der nicht nur die rechtliche Stellung des Individuums betraf, sondern weit reichende Auswirkungen auf das Alltagsleben hatte, auf das Verhältnis zwischen Mann und Frau, Eltern und Kindern, Herr und Knecht. Die Vorstellung von den natürlichen und unveräusserlichen Rechten des Individuums war ausserdem die Grundlage für die Vorstellung, dass die Macht eines Monarchen nicht von Gott komme, sondern Folge eines Vertragsschlusses sei, mit dem die Menschen zu ihrem eigenen Vorteil einen Teil ihrer natürlichen Rechte an einen Herrscher abgetreten hätten. Die Gesellschaft und der sie verkörpernde Staat wurden von den Aufklärern also nicht mehr als eine gottgegebene Ordnung angesehen, die sich aus Ständen, Gemeinden und Körperschaften mit abgestuften Rechten zusammensetzte, sondern als Zusammenschluss von Individuen, die in ihrem Verhältnis zum Staat alle gleich sind. Gemeinsam bilden sie die Nation. Bei ihr liegt die Souveränität, also die höchste Gewalt. Ihren Willen gilt es durch eine entsprechende Repräsentation der Individuen zu berücksichtigen. Durch die Aufklärungsphilosophie wurde die Beziehung des Individuums zu Gesellschaft und Staat neu gefasst. Diese Ansätze wurden durch die Französische Revolution erstmals in die Praxis einer Verfassung umgesetzt. Auch wenn manche alte Strukturen und Denkweisen weiterhin erhalten blieben, bedeutete dies einen solchen Bruch mit den politischen und sozialen Grundsätzen des Ancien Régime, dass schon die Zeitgenossen erkannten, dass die Politik dadurch auf völlig neue Grundlagen gestellt wurde. Die wirtschaftliche und soziale Lage der Bevölkerung Über 80 Prozent der Bevölkerung Frankreichs lebten im ausgehenden 18. Jahrhundert noch auf dem Land. Ohne die Unterstützung der bäuerlichen Bevölkerung hätte die Revolution kaum Erfolg haben können. Viele französische Bauern besassen zwar im Gegensatz zu den erbuntertänigen bzw. leibeigenen Bauern in Mittel- und Osteuropa in der Regel auch eigenes Land. Der Grossteil von ihnen war jedoch Pächter, allerdings mit einer vergleichsweise grossen Sicherheit. Sie konnten das Land vererben und die Erträge des Bodens selbst nutzen, mussten aber dem Grundherrn dennoch Dienste 7 Revolutionen in Europa – Die Französische Revolution leisten und Abgaben entrichten. Für viele Bauern waren Eigenbesitz und Pachtland nicht zur Ernährung einer Familie ausreichend. Insgesamt besassen die Bauern, also über 80 Prozent der Bevölkerung, nur ein gutes Drittel des Bodens. Der Adel hingegen, der nur ein Prozent der Bevölkerung ausmachte, besass über ein Viertel des bebauten Landes, ebenso das städtische Bürgertum. Zehn Prozent des Bodens gehörten- allerdings mit grossen regionalen Schwankungen der Kirche, der Rest war Gemeineigentum. Das stetige Bevölkerungswachstum hatte im 18.Jahrhundert dazu geführt, dass auf Grund erhöhter Nachfrage die Lebenshaltungskosten und vor allem die Lebensmittelpreise gestiegen waren. Gleichzeitig wurden bei wachsender Kinderzahl die Bauernstellen in vielen Regionen Frankreichs durch Erbteilung immer kleiner. Diese kleinbäuerlichen Schichten konnten von ihrer Landwirtschaft nicht mehr leben und mussten ihr Einkommen durch gewerbliche Nebentätigkeit oder Taglohndienste erhöhen. Das bedeutete, dass sie keine Selbstversorger mehr waren, sondern Lebensmittel zukaufen mussten. Steigende Getreidepreise trafen bei weitgehend stagnierenden Löhnen deshalb auch die ländlichen Unter- und Mittelschichten hart. Gleichzeitig wurden diese ärmeren Bauern von den Versuchen der adeligen und bürgerlichen Grossgrundbesitzer, die Produktivität ihrer Landwirtschaft zu erhöhen, schwer getroffen. Denn im Rahmen der Modernisierungsmassnahmen wurden alte dörfliche Gewohnheitsrechte die das Recht auf Waldnutzung angegriffen und vor allem das allen Dorfbewohnern zur Nutzung als Weide offen stehende Gemeindeland privatisiert. Viele Kleinbauern verloren dadurch die Möglichkeit, auf ihrer Stelle als selbstständige Bauern zu überleben. Sie mussten ihr Land verkaufen oder wegen Pachtrückständen an den Grundherrn zurückgeben. Besonders hart belastet wurden die Bauern zusätzlich noch dadurch, dass sie den Grossteil der Staatssteuern zu tragen hatten. Alle Formen der direkten Steuern mussten fast ausschliesslich von ihnen aufgebracht werden. Die privilegierten Stände waren davon befreit. Es gab zudem keine einheitliche, am Ertrag der Wirtschaft orientierte direkte Steuer, sondern eine Vielzahl von Steuern, die bei steigendem Finanzbedarf des Staates unabhängig vom Ertrag der Wirtschaft erhöht wurden. Als direkte Steuern entstanden so die taille (Leibsteuer), die capitation (Kopfsteuer), die corvée (Steuer als Ersatz für Frondienste) und der vingtième (Zwanzigste). Der Adel war von der corvée und der taille befreit. Das galt auch für viele Stadtbürger, vor allem in Paris, denn über Ämterkauf konnte man sich auch die Befreiung von Steuern erwerben. Ausserdem gab es indirekte Steuern wie die Salzsteuer (gabelle), von der der Adel ebenfalls in den meisten Regionen ausgenommen war. Insgesamt erhöhte sich die Steuerlast des Staates in den fünfzehn Jahren vor der Revolution für die Bauern um ein Viertel. Die absolute Höhe der Staatssteuern war in Frankreich zwar nicht ganz aussergewöhnlich hoch. Zumindest in England wurden ähnliche Beträge gefordert, allerdings war dort durch die wesentlich höhere Produktivität der Landwirtschaft auch das Einkommen der Bauern besser. Zu den Staatssteuern kamen für die Bauern als Belastung noch die grundherrlichen Abgaben und Rechte hinzu. Letztere bestanden aus dem ausschliesslich dem Grundherren zukommenden Recht auf Jagd, Fischfang und Taubenhaltung in ihrem Gebiet, aus dem Recht auf Brücken-, Weg- und Marktzoll und aus so genannten Bannrechten (banalité) wie Mühlen-, Kelter- oder Backzwang. Letztere legten fest, dass die Bauern die entsprechenden Einrichtungen des Grundherrn benutzen und ihm dafür Abgaben entrichten mussten. Dazu kamen schliesslich noch die Abgaben von der Ernte. Allerdings bedeutete dies nicht, dass sämtliche adeligen Grundbesitzer über grosse Vermögen verfügten. Auch beim Adel waren die Einkommensverhältnisse breit gestreut. Der kleine Landadel verfügte oft kaum über mittelständische Einkünfte. Der allgemeine Preisanstieg liess auch ihr 8 Revolutionen in Europa – Die Französische Revolution Einkommen sinken, denn viele der bäuerlichen Abgaben und Leistungen waren bereits in fixe Geldzahlungen umgewandelt worden, die nun immer weniger wert waren. Der kleine Adel hatte deshalb durchaus Grund zur Unzufriedenheit und fühlte sich durch Finanzreformpläne, die ihn mit einem Teil der Steuern belastet hätten, bedroht. Ihre wirtschaftliche Krise führte diese kleinen Adeligen dazu, gegen ihre Bauern hart vorzugehen und sämtliche Abgaben und Rechte einzufordern. Dadurch verschärften sich die Spannungen auf dem Land erheblich. Von dem langfristigen Anstieg der Lebenshaltungskosten bei vergleichsweise stagnierenden Löhnen und von den akuten Missernten in den Jahren 1788 und 1789 waren allerdings am schärfsten die kleinund unterbürgerlichen Schichten in den Städten betroffen. Sie waren ganz auf den Kauf von Lebensmitteln angewiesen. Ihnen ging es deshalb seit Jahrzehnten kontinuierlich schlechter. Zwar hatte es seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts in Frankreich keine grosse Hungersnot mehr gegeben, aber die Gefahr war immer präsent und wurde von den städtischen Unterschichten immer gefürchtet. Ihre Bereitschaft zu politischen Aktionen war 1789 nach den Missernten entsprechend hoch. Fragen: 1. Erstellen Sie eine Tabelle mit den Ursachen der Französischen Revolution (Stichworte). 2. Erklären Sie, was mit dem „Recht des Individuums gemeint ist Die Französische Revolution – Arbeit mit historischen Modellen Phasen Ebenen und Verlauf der Revolution Die Französische Revolution ist ein vielschichtiger Ereigniszusammenhang. Historiker unterscheiden vier z.T. auch fünf Phasen der Revolution, in denen jeweils unterschiedliche Trägerschichten und deren Interessen das Geschehen dominierten. Bei dem Blick auf die Aktionen verschiedener Gruppen an unterschiedlichen Zeitpunkten wird jedoch leicht vergessen, dass sowohl die Bauern als auch die städtischen Volksmassen und die Oberschichten über den gesamten Revolutionsverlauf politisch aktiv waren, dass nur zu bestimmten Zeitpunkten eine Gruppe in den Vordergrund trat und dabei von den anderen gestützt, bekämpft oder auch ignoriert wurde. Der Historiker Rolf Reichardt hat deshalb ein Modell entwickelt, das die verschiedenen Handlungsstränge der einzelnen Trägerschichten im Überblick über den gesamten Zeitraum der Revolution und in ihrem Verhältnis zueinander für ganz Frankreich darstellt. Mit dieser Konzeption versucht er der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die Konzentration auf die Ereignisse in Paris, die die Revolutionsgeschichtsschreibung lange Zeit beherrschte, dem Geschehen nicht angemessen ist. Sie übersieht nicht nur die Bedeutung der ländlichen Unruhen, sondern auch die der Unruhen in anderen Städten der Provinz für das Revolutionsgeschehen. Wenn im Folgenden zur besseren Übersichtlichkeit dem chronologischen Ablauf der Revolution gefolgt und der Blick dabei in der Regel auf die jeweils wichtigsten Ereignisse und Akteure gelenkt wird, ist es hilfreich, Reichardts Modell als eine wichtige Vertiefung im Verständnis der komplizierten Strukturen des Revolutionsverlaufs im Blick zu behalten. Umstritten ist auch, inwiefern die unterschiedlichen Trägerschichten und ihre Aktionen überhaupt einen solchen Zusammenhang bilden, dass man von einer Revolution sprechen kann. Der französische Revolutionshistoriker François Furet geht speziell für das Jahr 1789 von drei verschiedenen, selbstständigen Revolutionen aus, die sich zum Teil gegenseitig eher behindert als unterstützt hätten: von der Revolution der Eliten in der Nationalversammlung in Versailles, von der Revolution der Bauern und von der der städtischen Mittel- und Unterschichten v. a. in Paris. Die Aktionen der beiden letzten Gruppen hätten im Prinzip eher den Charakter traditioneller Unruhen als 9 Revolutionen in Europa – Die Französische Revolution den einer Revolution gehabt. Ihre Ziele seien nicht revolutionär, sondern traditionell gewesen, orientiert an der Erhaltung ihrer Existenz als unabhängige kleinbäuerliche oder kleinbürgerliche Produzenten. Wirklich fortschrittliche Ziele im Sinne des Umbaus der Gesellschaft hin zu einer von traditionellen Bindungen freien, modernen Eigentümer-und Leistungsgesellschaft hätten nur die Eliten im Parlament verfolgt. Die Konsequenz dieser Sicht ist, dass ein wahrhaft revolutionärer Charakter nur der zweiten Phase der Revolution, der Verfassungsrevolution, zugesprochen wird, während die Radikalisierung der Revolution in den nächsten Phasen als Entgleisung gewertet wird. In dem Masse, in dem die städtischen Mittel- und Unterschichten zu den dominierenden Hälften der Revolution wurden, wird für Furet auch die Bezeichnung der Französischen Revolution als eine „bürgerliche Revolution fragwürdig. Der Historiker Ernst Schulin fasste diese Position prägnant zusammen: „Was die Bürger machten, war nicht in vollem Sinne Revolution. Was die Revolution war, war z.T. gegen die Bürger gerichtet. Dagegen halten andere Historiker eher an der Einheit der Revolution fest und betonen die Künstlichkeit von Furets Trennung der drei Revolutionen. Die politischen Forderungen und die Sprache des aufgeklärten Bürgertums hatten auch die Beschwerden und die Aktionen der Bauern und der städtischen Mittel- und Unterschichten nachhaltig beeinflusst, sie beobachteten zudem die Vorgänge in Paris genau und versuchten sie in ihrem Sinne zu beeinflussen. Gerade weil Revolutionen immer komplexe Ereigniszusammenhänge mit verschiedene mit verschiedenen Trägergruppen seien, müsse die Revolution als eine Einheit betrachtet und die Radikalisierung der Revolution als notwendiger oder zumindest verständlicher Teil der Revolution akzeptiert werden. Der Revolutionshistoriker Axel Kuhn fasst den politischen Hintergrund dieser Auseinandersetzung prägnant zusammen, wenn er schreibt: „Auf der einen Seite steht der Wissenschaftler, der sich mit den Abgeordneten identifiziert und im Parlament unbehelligt vom Volk, revolutionäre Beschlüsse fassen möchte; auf der anderen Seite der Wissenschaftler, der glaubt, dass solche Beschlüsse nur durch den Druck der Volksmassen zu Stande kommen, und sich deshalb mit diesen identifiziert. Ob das Volk bei der Revolution eigentlich nur stört oder sie erst möglich macht, das hängt vom Standpunkt des Betrachters ab. Die Revolte des Adels – eine Revolution vor der Revolution? Die erste Phase (1787-1789) wird als Vorrevolution der Privilegierten oder auch als „Revolte des Adels bezeichnet. Adel und Klerus, die so genannten privilegierten Stände, opponierten gegen den Versuch der Krone, die maroden Staatsfinanzen dadurch zu sanieren, dass ihre Steuerprivilegien eingeschränkt und die Lasten gleichmässig auf alle Stände verteilt wurden. Über das Pariser „parlément den obersten Gerichtshof, der für die so genannte Registrierung der königlichen Gesetze zuständig war und sich selbst zu einer Art Kontrollorgan gemacht hatte, liessen sie seit den 1770er Jahren konsequent alle Reformgesetze scheitern. Es waren im Wesentlichen die oppositionellen Kräfte des Adels, die aus Widerstand gegen alle Reformen auch den Sturz eines der bedeutendsten Finanztheoretiker Frankreichs im 18. Jahrhundert, Anne Robert Turgot, bewirkten. Ihn hatte Ludwig XVI. im Jahr 1774 in das Amt des Generalkontrolleurs der Finanzen berufen. Er wollte Gewerbefreiheit und Freihandel einführen und die königlichen Frondienste für den Wegebau in eine von allen Ständen zuzahlende Abgabe umwandeln. Turgot scheiterte mit diesen und anderen Reformvorhaben an dem Widerstand der Parlamente und der sie beherrschenden privilegierten Oberschichten. Er wurde bereits 1776 wieder entlassen. Ähnlich erging es seinen Nachfolgern Calonne und Necker. Calonne versuchte für seine Reformpläne, die eine einheitliche Grundsteuer vorsahen, das Pariser Parlament zu umgehen und riet dem König, eine Versammlung ausgewählter Notabeln einzuberufen. Dies geschah im Frühjahr 1787. Diese Notabelnversammlung zeigte sich jedoch ebenfalls nicht gefügig. Es wurden deutlich antiabsolutistische und regierungskritische Stimmen laut. Die Parlamente in Paris und in anderen Teilen des Königreichs (v. a. in Grenoble) gingen nun in strikte Opposition gegen die Versuche des Königs, die geplanten Reformgesetze ohne ihre Zustimmung durchzusetzen. Zur Lösung der Finanzkrise verlangte das Parlament von Paris eine Beteiligung der seit 1614 von den französischen Königen nicht mehr einberufenen Generalstände. Ludwig XVI. versuchte dies so lange wie möglich hinauszuziehen. Der weitgehende Vertrauensverlust 10 Revolutionen in Europa – Die Französische Revolution der Regierung und ihre sinkende Kreditfähigkeit zwangen den König jedoch im Sommer 1788, diesen Schritt zu tun. Die Generalstände wurden für den 5. Mai 1789 nach Versailles einberufen. Die Generalstände eine Institution aus der Mottenkiste der Geschichte? Mit der Einberufung der Generalstände, die in ganz Frankreich begeistert begrüsst wurde, traten allerdings auch gleich die Interessengegensätze zwischen dem in den Parlamenten tonangebenden Adel und dem Dritten Stand hervor. Das Pariser Parlament wollte eine Wahl zu den Generalständen nach dem alten Modus von 1614. Das hätte bedeutet, dass alle Stände eine gleiche Zahl von Abgeordneten hätten wählen können. Der Dritte Stand wäre damit nicht gemäss seiner realen Bevölkerungsstärke repräsentiert gewesen. In der breiten öffentlichen Diskussion wurde allerdings rasch klar, dass dies vom Dritten Stand nicht mehr akzeptiert würde. Der König musste schliesslich der Forderung nach einer Verdoppelung der Vertreter des Dritten Standes nachgeben. Damit war allerdings noch keine Entscheidung über den Abstimmungsmodus der Generalstände getroffen. Traditionell wurden die Stimmen der drei Stände, die getrennt abstimmten, nach der Abstimmung gleich gewichtet. Erster und zweiter Stand, die weitgehend gemeinsame Interessen vertraten, besassen dadurch immer die Mehrheit. Eine „Abstimmung nach Köpfen dagegen hätte dem Dritten Stand nach dem neuen Wahlverfahren ein Übergewicht gesichert. Denn nach der Erhöhung der Zahl seiner Vertreter standen nun 291 Abgeordneten des Klerus und 270 des Adels 578 des Dritten Standes gegenüber. Nach altem Brauch wurden den Abgeordneten der einzelnen Wahlbezirke von den Gemeinden Beschwerdehefte (cahiers de doléance) mitgegeben, in denen jeweils die wichtigsten Missstände aufgezählt wurden, die dem König mit der Bitte um Abstellung vorgetragen werden sollten als Bedingung für die Bewilligung neuer Steuern. Diese Beschwerdehefte sind in grosser Zahl überliefert (ca. 60‘000) und vermitteln ein eindrückliches Bild vom Frankreich des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Aus diesen Cahiers, die auch von Adel und Klerus in ihren Wahlbezirken erstellt wurden, lassen sich neben gegensätzlichen Interessen z.B. bei der Belieferung oder der Forderung nach Abschaffung der Feudallasten auch durchaus Gemeinsamkeiten in den Forderungen der drei Stände entnehmen. Weitgehend einig war man sich in dem Wunsch nach Einschränkung der königlichen Macht durch eine Verfassung und in der Forderung nach Einrichtung einer dauerhaften Nationalversammlung, die über Steuern beraten und Gesetze verabschieden kann. Vorbild dafür war für viele die parlamentarische Monarchie Englands. Auch die Notwendigkeit einer Finanzreform wurde allgemein gesehen und eine Beteiligung an den Steuern unter veränderten politischen Rahmenbedingungen vom Adel letztlich akzeptiert. Die Bereitschaft für eine Veränderung der französischen Gesellschaft durch grundlegende Reformen war gross, die Erwartungen in die Nationalversammlung entsprechend hoch. Fragen: 1. Skizieren Sie die im Abschnitt erwähnten historischen Modelle 2. Erstellen Sie ein Argumentarium zu den Reformvorhaben von Turgot oder Calonne. Stellen Sie sich vor, dass Sie anhand dieser Argumente einen Reformgegner umzustimmen versuchen. 3. Stellen Sie eine These zu den weiteren Vorgängen auf, wenn Turgot oder Calonne mit ihren Reformvorhaben erfolgreich gewesen wären. 11 Revolutionen in Europa – Die Französische Revolution Revolutionen unterliegen festen Gesetzen – die Revolutionstheorie von Marx und Engels Marx über Produktionsverhältnisse und die Bedingungen sozialer Revolutionen In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewusstseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozess überhaupt. Es ist nicht das Bewusstsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewusstsein bestimmt. Auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung geraten die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen oder, was nur ein juristischer Ausdruck dafür ist, mit den Eigentumsverhältnissen, innerhalb deren sie sich bisher bewegt hatten. Aus Entwicklungsformen der Produktivkräfte schlagen diese Verhältnisse in Fesseln derselben um. Es tritt dann eine Epoche sozialer Revolution ein. Karl Marx, Zur Kritik der politischen Ökonomie, S. 8 -10, Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 2899 (vgl. MEW Bd. 13, Berlin [Dietz] 1956ff. S.). 9 Die Bedeutung der Französischen Revolution a) Französische und industrielle Revolution: Die grosse Französische Revolution war die dritte Erhebung der Bourgeoisie, aber die erste, die den religiösen Mantel gänzlich abgeworfen hatte und auf unverhüllt politischem Boden ausgekämpft wurde. Sie war aber auch die erste, die wirklich ausgekämpft wurde bis zur Vernichtung des einen Kombattanten, der Aristokratie, und zum vollständigen Sieg des andern, der Bourgeoisie. [.] Während die Revolution den politischen Triumph der Bourgeoisie in Frankreich sicherstellte, leiteten in England Watt, Arkwright, Cartwright und andere eine industrielle Revolution ein, die den Schwerpunkt der ökonomischen Macht vollständig verschob. Der Reichtum der Bourgeoisie wuchs jetzt unendlich schneller als der der Grundaristokratie. Innerhalb der Bourgeoisie selbst trat die Finanzaristokratie, die Bankiers etc., mehr und mehr in den Hintergrund vor den Fabrikanten. Friedrich Engels, Über historischen Materialismus, S. 29. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 8944 (vgl. MEW Bd. 22, S. 303-304). b) Politische Revolution und Emanzipation der Gesellschaft Nicht die radikale Revolution ist utopischer Traum für Deutschland, nicht die allgemein menschliche Emanzipation, sondern vielmehr die teilweise, die nur politische Revolution, die Revolution, welche die Pfeiler des Hauses stehen lässt. Worauf beruht eine teilweise, eine nur politische Revolution? Darauf, dass ein Teil der bürgerlichen Gesellschaft sich emanzipiert und zur allgemeinen Herrschaft gelangt, darauf, dass eine bestimmte Klasse von ihrer besondern Situation aus die allgemeine Emanzipation der Gesellschaft unternimmt. [.] Damit ein Stand par excellence der Stand der Befreiung wird, dazu muss umgekehrt ein andrer Stand der offenbare Stand der Unterjochung sein. Die negativ-allgemeine Bedeutung des französischen Adels und der französischen Klerisei bedingte die positiv-allgemeine Bedeutung der zunächst angrenzenden und entgegenstehenden Klasse der Bourgeoisie. Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, S. 18. Digitale Bibliothek Band 11: Marx/Engels, S. 557ff. (vgl. MEW Bd. 1, S. 386ff.). Konservative, liberale, sozialistische Analysen – welche Bedeutung hat die Französische Revolution? 12 Revolutionen in Europa – Die Französische Revolution Weltanschaulich-politische Richtungen prägen die Geschichtsschreibung über die Französische Revolution bis heute. Sie ist ein Politikum ersten Ranges, an dem sich wie an der friedlichen Revolution von 1989 auch künftig die Geister scheiden werden. Unser Wissen um die Ereignisse wurde durch die Einführung quellenkritischer Methoden, das verstärkte Arbeiten mit unveröffentlichten Archivalien sowie den Wandel von einem personalistischen Geschichtsverständnis zu strukturalgeschichtlichen Ansätzen (Vergleiche mit anderen bürgerlichen Revolutionen auch in anderen Ländern, verstärkte Berücksichtigung regionalgeschichtlicher Untersuchungen ausserhalb von Paris) erheblich erweitert. Die Entdeckung der Französischen Revolution als Kultur- und Bewusstseinsrevolution, die zur Herausbildung einer demokratischen Kultur mit neuartigen Kommunikationssystemen geführt hat, gehen auf Vordenker wie Michel Vovelle zurück. So zeigen sich veränderte Mentalitäten etwa in der Symbol- und Zeichensprache der Literatur, Publizistik, der Erziehung, der Feste, der Denkmäler, der Musik, Malerei und Grafik. Diesen Ansatz die kulturellen Kräfte des revolutionären Prozesses der Französischen Revolution stärker zu berücksichtigen, verfolgt auch, international beachtet, u. a. Rolf E. Reichardt in Deutschland. Drei wesentliche Trends der Interpretation in der mehr als ZO0-jährigen Revolutionsforschung beschreibt der Historiker Axel Kuhn folgendermassen: Eine Revolution, drei Richtungen der Interpretation a) Die konservative Interpretation Die konservative Auseinandersetzung mit der Revolution setzte schon 1790 mit einem Werk von Edmund Burke ein, das berühmt werden sollte. Es heisst Reflection on the Revolution in France und wurde gleich im folgenden Jahr unter dem Titel Betrachtungen über die Französische Revolution ins Deutsche übertragen. Burke vertrat die These, dass die Revolution nicht notwendig gewesen sei. Vielmehr habe die alte Gesellschaft aus sich heraus noch die Kraft zu Reformen gehabt. Vor allem die Einberufung der Generalstände stellte nach Burke einen viel versprechenden Schritt zu Reformen dar; Reformen, die das Ende der absoluten Monarchie bedeutet hätten. Er fand nirgends Spuren einer Regierung, die im Ganzen so pflichtvergessen, so verderbt und so drückend gewesen wäre, dass sie schlechterdings keine Verbesserung zugelassen hätte. Auf der Grundlage dieser Analyse formulierten andere Zeitgenossen der Revolution die sog. Verschwörungsthese. Wenn die Revolution nicht notwendig gewesen war, wenn die Bevölkerung gar nicht so sehr litt warum brach die Revolution dann aus? Die konservative Antwort lautet: Sie wurde künstlich herbeigeführt, und zwar nicht von unzufriedenen Massen, sondern durch eine kleine Gruppe von Verschwörern. Als solche hatte man im 18. Jahrhundert die aufgeklärten Intellektuellen in ihren literarischen Salons sowie die Freimaurer mit ihrem geheimbündlerischen Kommunikationsnetz ausgemacht. Die Verschwörungsthese wurde jedoch zum Grundbestand konservativer Kritik an jeder Revolution. Auch in späteren Zeiten malten Konservative ein rosiges Bild der jeweiligen alten Gesellschaft, dergegenüber der Ausbruch der Revolution als unberechtigt erschien. Der konservativen Deutung der Französischen Revolution hat Alexis de Tocqueville mit seiner Untersuchung LAncien Régime et la Revolution (Der alte Staat und die Revolution) ein weiteres Glanzlicht aufgesetzt. Sie erschien erstmals im Jahre 1856. Auch Tocqueville war wie Burke ein differenzierter Denker. Sein methodischer Ansatz, nämlich die Analyse der gesellschaftlichen Strukturen und der Klassengegensätze, sollte der Politikwissenschaft wichtige Impulse geben. Bezüglich der Französischen Revolution betonte er jedoch die in der französischen Geschichte angelegten evolutionären Prozesse. Er war der Meinung, dass eine Modernisierung der Gesellschaft auch ohne Revolution stattgefunden hätte. Ausserdem vertrat er die These, dass der gefährlichste Moment für eine autoritäre Regierung derjenige sei, in dem sie Reformen gewähre. Das kann man nur zu leicht so verstehen: Die absolute Monarchie in Frankreich hätte überlebt, wenn sie nicht Reformen zugestanden hätte. Spätere Historiker, unter ihnen Pierre Gaxotte und Bernard Fay, haben die konservativen Positionen über die Französische Revolution mit zeitgemässen Varianten vertreten. Man erkennt sie daran, dass sie die von Burke und Tocqueville geprägten Grundmuster wiederholen. Sie haben eine Vorliebe für die Analyse der vorrevolutionären Gesellschaft und versuchen deren angebliche Reformfähigkeit herauszuarbeiten. 13 Revolutionen in Europa – Die Französische Revolution b) Die liberale Revolutionsgeschichtsschreibung Der Typus liberaler Revolutionsgeschichtsschreibung ist dagegen daran zu erkennen, dass seine Autoren eine ausgesprochene Vorliebe für die ersten drei Jahre der Revolution entwickeln. Seine klassischen Vertreter waren François Auguste Mignet und Jules Michelet. Michelets Revolutionsgeschichte erschien 1847 bis 1853. Er schuf ein farbenprächtiges Gemälde von der Kampfbereitschaft und vom Opfermut des guten Volkes, das seine Ketten abwarf, und vergass auch nicht die Frauen der Revolution. In neuerer Zeit hat die Darstellung von François Furet und Denis Richet viel Aufmerksamkeit erregt. In diesem Buch wird die These von den drei Revolutionen des Jahres 1789 vorgetragen und mit der Auffassung verbunden, dass die Herrschaft der Jakobiner eine „Entgleisung gewesen sei. Von ihr, der jakobinischen Entgleisung, habe sich die Revolution erst wieder in der Zeit des Direktoriums erholt. Vor allem diese negative Bewertung der radikalen Revolutionsphase rückt das Buch in die Nähe liberaler Deutungsmuster. Wenn sich der Typus konservativer Interpretation vom Kampf gegen den Ausbruch der Revolution her bestimmen lässt, so lebt die liberale Analyse vom Kampf gegen die Radikalisierung der Revolution. In Deutschland ist die neuere Revolutionsgeschichtsschreibung stark von Furets Thesen beeinflusst, wie aus den Büchern von Ernst Schulin und Eberhard Schmitt ersichtlich ist. c) Die sozialistische Forschung In der sozialistischen Interpretation bildet die Jakobinerherrschaft von f7 93 l9 4 nicht eine Entgleisung, sondern vielmehr den Höhepunkt der Revolution. Dieses dritte Deutungsmuster geht trotz aller internen Meinungsverschiedenheiten auf Karl Marx und Friedrich Engels zurück. Die beiden haben zwar keine geschlossene Untersuchung über die Französische Revolution geschrieben, sich jedoch oft über sie schriftlich geäussert. In Frankreich dominierte seit den 1920er- Jahren die sozialistische Richtung, vor allem mit den Pariser Lehrstuhlinhabern Albert Mathiez, Georges Lefebvre und Albert Soboul. Für sie alle war die Französische Revolution als Ganzes eine bürgerliche, weil in ihr das Bürgertum als aufstrebende Klasse den Feudalismus oder wenigstens seine Reste beseitigte. Bürgerlich seien selbst die Jakobiner geblieben, wenn auch auf einer radikaldemokratischen Stufe. Allerdings deuteten sich in ihrer Bewegung bzw. Herrschaft schon einige Charakteristika späterer sozialistischer Revolutionen an: so etwa die Rolle der Jakobiner als Avantgarde, ihre Herrschaft als Diktatur und die Rolle der politischen Klubs als Vorformen politischer Parteien. Von Lefebvre stammt der Nachweis einer Adelsrevolte von 1787188, die der Revolution vorausging. Er entwickelte ferner die These einer autonomen Bauernrevolution im Jahre 17 89. Die Gesamtdarstellung von Soboul wurde auch in der deutschen Übersetzung zu einem Standardwerk. Obwohl sozialistische Historiker, von Aussenseitern abgesehen, die Revolution als eine bürgerliche ansahen, wurden von ihnen doch auch umfangreiche Forschungen über die Rolle der Volksmassen (Sansculotten) und ihr Verhältnis zu den Jakobinern geleistet. Neben Soboul ist in diesem Zusammenhang der bedeutendste deutsche Revolutionsforscher nach dem Zweiten Weltkrieg, der Leipziger Walter Markov, zu nennen. Die Auswirkungen der Revolution auf Deutschland sind erst seit den Fünfzigerjahren des 20. Jahrhunderts durch die deutsche Jakobinerforschung intensiver untersucht worden. Zu nennen sind hier vor allem die Arbeiten von Heinrich Scheel und Walter Grab. Vorbilder konnte es nur wenige geben. Zwar wurde, namentlich in der angelsächsischen Forschung, gern eine international vergleichende Perspektive eingenommen, aber die Gesamtdarstellungen dieser Provenienz zeichneten sich nicht nur durch eine konservative Grundeinstellung aus; sie vertraten auch die inzwischen nicht mehr haltbare Ansicht, dass die Revolutionsauswirkungen in den deutschen Gebieten weniger bedeutend gewesen seien als in den meisten anderen europäischen Ländern. Axel Kuhn, Die Französische Revolution, Stuttgart (Reclam) 999, S. 167-170. Fragen: 1. Erklären Sie, inwieweit die jeweiligen Interpretationsmuster das Phänomen „Französische Revolution nur teilweise erklären. 2. Arbeiten Sie die erkennbaren ideologischen Standpunkte heraus. 14 Revolutionen in Europa – Die Französische Revolution 3. Untersuchen Sie, warum die Französische Revolution zu einem Modellfall für alle nachfolgenden Revolutionen wurde. Bilanz der Revolution 1789 – ein Katalysator der Moderne? Der Historiker Rolf E. Reichardt schreibt über die Bedeutung der Revolution für Europa (1998): „Die grösste Begebenheit unserer Tage, und man kann wohl sagen, die grösste Begebenheit aller Jahrhunderte, die fränkische Revolution, musste auf jeden Menschen von einigem Gefühl eine entscheidende Wirkung äussern. Jeder, der nicht bloss für seine Existenz Sinn hatte, nahm auf irgendeine Art an dieser grossen Erscheinung teil, und mancher junge Mann, den sonst ein elendes Pflanzenleben fortgeschleppt hätte, erhielt dadurch einen entscheidenden Stoss, der alle seine Kräfte in Bewegung setzte. Schöner und grösser, als es leider! je zur Wirklichkeit kommen wird, stand das Ideal eines allgemeinen Brüderbundes vor der Seele des Menschen, der seine Mitbürger liebte. Beide Elemente dieser Aussage des deutschen Jakobiners Georg Friedrich Rebmann vom Jahre 1796 sind über das Biografische hinaus bestätigt worden: zum einen die weit verbreitete kosmopolitische Freiheitsbegeisterung, zum anderen ihre realpolitische Enttäuschung. Dazu kamen, wie wir gesehen haben, sehr konkrete Einflüsse des revolutionären Frankreich auf die Innenpolitik der Nachbarländer. Einerseits variierten diese Einflüsse in Form und Intensität nach den örtlichen Verhältnissen und der Zeit, in die sie fielen. [] Andererseits jedoch waren die europäischen Wirkungen der Revolution sehr ähnlich, und zwar besonders im Bereich der politischen Kultur. Überall wirkte die Revolution bei unzufriedenen Gruppen als Anstoss, überfällige Reformen und Veränderungen im jeweils eigenen Land energischer zu betreiben. Überall löste sie eine Welle politischer Publizistik von neuer Radikalität und sozialer Reichweite aus, welche die revolutionären Grundvorstellungen und Schlagworte verbreitete. Überall verband sich damit sowohl eine neuartige Klubkultur als auch eine internationale Freiheits- und Gleichheitssymbolik beides nach französischem Vorbild. Überall wurden durch die so bewirkten Akkulturationsprozesse neue soziale Gruppen und Schichten an die Politik herangeführt beziehungsweise zusätzlich politisiert, überall erkämpften sich diese Gruppen unter Rekurs auf die Revolution Zugang zum Politischen: die Intellektuellen auf der Apenninhalbinsel, das mittlere Bürgertum im Alten Reich, die kleinen Leute auf den Britischen Inseln. Überall bildeten sich in Auseinandersetzung mit der Revolution deutlicher als zuvor gegensätzliche politische Lager heraus. So hat die Französische Revolution, wie unterschiedlich sie auch vordergründig auf einzelne Länder einwirkte, letztlich wichtige Impulse zur Herausbildung einer gemeinsamen, tendenziell demokratischen politischen Kultur Europas gegeben. Die grundlegende Bedeutung, aber auch die Gefährdung dieses mentalen Wandels am Ausgang der Revolutionsdekade hat ein scharfsichtiger zeitgenössischer Beobachter wie Johann Wilhelm von Archenholz prägnant in Worte gefasst, als er seine über zehn Jahre verfassten oft kritischen – Frankreichkommentare Ende 1802 mit folgender Betrachtung über die Revolution abschloss: „Bei der allgemeinen und genauen Verbindung der europäischen oder vielmehr der kultivierten Völker, vermöge welcher sie eine grosse Nationengesellschaft bilden, konnte diese neue Wiedergeburt des Menschen nicht bloss lokal sein; Frankreichs Grenzen konnten der Ausbreitung dieser segensvollen Revolution keine Schranken setzen. Frankreich wäre das Muster der übrigen Welt geworden. Nicht auf einmal, aber allmählich hätte jene veränderte, menschlichere, vernünftigere Denkart, jene Aufklärung, welche im achtzehnten Jahrhundert hervorbrach, sich immer mehr unter den Völkern verbreitet und festgesetzt. Die Denkart der Nationen hätte sich zuletzt auch den Regierungen mitteilen müssen. Belehrt durch Frankreichs Beispiel vor und nach der Revolution, gewarnt durch den Anblick der schrecklichen Folgen, welche Verderbnis der Gesetzgebung und Religion in diesem Lande hervorgebracht hatten, gereizt zu edlem Neide durch das nachfolgende Glück dieses Volkes, würden sie auf die Stimme der Gerechtigkeit mehr gehört, würden ihre Völker zu gleichem Range des Wohlstands mit Frankreich zu erheben gesucht haben. Geistesfreiheit, das Palladium der Nationen, ihre geistvolle Vervollkommnung und selbst auf gewisse Weise ihren bürgerlichen Wohlstand zu sichern wäre vielleicht über ganz Europa verbreitet worden. Archenholz umschrieb diese Vision im Irrealis, weil er nicht ohne Grund befürchtete, Napoleons Imperialismus, seine Kriege und sein 15 Revolutionen in Europa – Die Französische Revolution despotisches Regiment . würden diese „Umwälzung des Denkens in ihrer Entfaltung hindern oder sogar rückgängig machen. [.] Doch wie der vaterländische Publizist Ernst Moritz Arndt 1814 in einer Flugschrift konstatierte, lebten die von der Französischen Revolution geprägten und in Umlauf gebrachten neuen politischen Grundwerte und Handlungsformen unter der napoleonischen Herrschaft nicht nur im Untergrund weiter, sondern trugen in den Freiheitskriegen auch wesentlich zum Sturz des Imperators bei. Darin sah Arndt mit Recht die von Archenholz fest- und zugleich in Frage gestellte Zäsurwirkung der Revolution für Europa bestätigt: „Auch das hat die fürchterliche Französische Revolution, die wir jetzt unsere, die europäische Revolution nennen müssen, uns heller als das Sonnenlicht gezeigt, dass der alte Zustand Europas vergangen ist, dass wir in den Vorhallen einer neuen Zeit stehen. „Ohne jemals ein Anhänger der Franzosen und ihrer Revolution gewesen zu sein, gestand der deutsche „Nationalist Arndt offen ein, „dass wir dieser wilden und tollen Revolution unendlich viel verdanken, dass sie ein reiches Feuermeer ausgegossen hat, woraus jeder nicht lichtscheue Mann sein Teil hat schöpfen können, dass sie Ideen in die Köpfe und Herzen gebracht hat, die zur Begründung der Zukunft die notwendigsten sind und die zu fassen vor zwanzig und dreissig Jahren die meisten Menschen noch zitterten. Mehr noch: Nicht nur in Leitideen wie Freiheit, Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit bestand das Erbe der Französischen Revolution für Europa, sondern zunehmend in neuen Formen der kollektiven Meinungs Meinungsbildung, der Mobilisierung und Aktion der aufständischen Volksmenge, in der immer weiter ausgreifenden Vorstellung von der Machbarkeit und demokratischen Gesetzmässigkeit einer Revolution nach dem Pariser Modell. Nicht von ungefähr war das l9.Jahrhundert eine Epoche der Revolutionen, die 1830 und 1848, von Paris ausgehend, weite Teile Europas ergriffen. Dass diese Kettenreaktion von Revolutionen bereits 1789 ausgelöst wurde, hat Lorenzvofr Stein, neben Alexis de Tocqueville vielleicht der scharfsinnigste Analytiker der Französischen Revolution in der ersten Hälfte des l9.Jahrhunderts, im Jahre L842 unibertrefflich formuliert: „Von Frankreich aus zog sich ein doppelter Strom in alle Länder des Westens hinein; der eine ein Strom neuer Gedanken und Hoffnungen, der andere ein Strom von Emigranten mit alten Ansprüchen. [.] Es ward plötzlich klar, dass es neben dem System des politischen Gleichgewichts für die Staaten noch ein zweites, vielleicht viel mächtigeres Band, eine gewaltige Solidarität in dem ganzen neueren Leben der Völker gebe: die Gleichartigkeit der Gesellschaft in der europäisch-germanischen Welt. Die verschiedenen Stände begannen die Gleichartigkeit des Kampfes, die Gemeinschaft der Siege und Niederlagen, der Entwicklung und Hemmung zu erkennen; die Sache der Emigranten ward zur Sache des Privilegiums in ganz Europa, die Sache des Tiers-Etat zur Sache der unterdrückten Völker. Die Geschichte Europas hatte in ihrer Bewegung endlich das Element ergriffen, durch welches sie die Gemeinschaft der Völker auf immer hervorrief den Boden der gesellschaftlichen Zustände. [.] Hier in der Tat und nicht in den Kriegen, Siegen und Staatenänderungen, welche alsbald folgten, liegt der Grund, weshalb wirklich die neuesteZeit sich von der früheren mit jenenJahren scheidet. Rolf .Reichardt, Das Blut der Freiheit, Frankfurt (Fischer TB)2 1999, .330-332. Fragen: 1. Inwiefern veränderte die Französisch Revolution die politischen Kulturen Europas? 2. Diskutieren Sie, inwieweit diese Anregungen auch heute noch bestehen und aktuell sind. Die Französische Revolution und die Neugestaltung Europas Revolutionskriege und die napoleonische Neugestaltung Europas Der König, die konservative Partei (feuillants), aber auch die Girondisten hatten während des Jahres 1791 aus unterschiedlichen Motiven auf einen Krieg hingearbeitet. Einen Kriegsgrund fand man im Kampf gegen die vor allem ins Fürstbistum Trier emigrierten französischen Adeligen, die auf Grund der international angespannten Lage versuchten, sich auf eine militärische Intervention vorzubereiten. Man stellte an den Fürstbischof die Forderung, die Truppen der Emigranten aufzulösen. Von Kaiser Leopold II. verlangte man nach der Pillnitzer Erklärung vom August1791, in der die Möglichkeit 16 Revolutionen in Europa – Die Französische Revolution einer europäischen Intervention zu Gunsten des französischen Königs angedeutet wurde, er solle auf alle Abkommen und Verträge verzichten, die sich gegen das revolutionäre Frankreich richteten. Ein entsprechendes Ultimatum vom 25. März liess der Kaiser unbeantwortet. Daraufhin erklärte Frankreich am 20. April 1792 dem „König von Ungarn und Böhmen den Krieg. Die verschiedenen am Krieg interessierten Gruppen in Frankreich wollten einen kurzen und begrenzten Krieg. Deshalb wurde die Kriegserklärung nur an Österreich, nicht aber an das Reich gerichtet. Allerdings hatten Österreich und Preussen schon im Februar 1792 einen Beistandspakt geschlossen, sodass im Juli 1792 Preussen unter Friedrich Wilhelm II. in den so genannten ersten Koalitionskrieg eintrat. 1793 schlossen sich weitere europäische Länder und das Reich der Koalition an. Schlechte Koordination und gegenseitiges Misstrauen bezüglich der jeweiligen Kriegsziele verhinderten jedoch eine effektive Kriegsführung der Alliierten. Nach anfänglichen deutlichen Niederlagen Frankreichs gelang 1794 durch die militärische Mobilisierung der Bevölkerung (levée en masse) und die Organisation des neuartigen Volksheeres durch Carnot der endgültige Umschwung des Krieges. Frankreich eroberte die Niederlande, das linke Rheinufer und unter dem Kommando Napoleons -weite Teile Norditaliens. Preussen schied bereits 1795 vertragswidrig aus der Koalition aus. Im Frieden von Campo Formio, 1798) mussten Österreich und das Reich nicht nur die österreichischen Niederlande (Belgien), sondern auch das gesamte linksrheinische Reichsgebiet an Frankreich abtreten. Die österreichischen Besitzungen in Oberitalien wurden zu Tochterrepubliken, ebenso die Niederlande (Batavische Republik) und die Schweiz (Helvetische Republik). Die Koalitionskriege veränderten die Landkarte Europas Insgesamt führten die europäischen Mächte fünf Koalitionskriege gegen Napoleon. Für das Heilige Römische Reich Deutscher Nation brachte jeder dieser Kriege spezifische Konsequenzen und Herausforderungen: Im ersten Koalitionskrieg (1792-1797) verfolgte Frankreich zunächst im Vertrauen auf die Macht der revolutionären Ideen eine Politik der Unterstützung demokratischer Bestrebungen in den eroberten Gebieten, wobei diese ihre Selbstständigkeit behielten. So etablierte sich in dem von Frankreich eroberten Mainz für einige Zeit die erste Republik auf deutschem Boden. Durch den Wandel der Verhältnisse in Frankreich selbst (Jakobinerherrschaft und Direktorium) veränderte sich jedoch die französische Aussen- und Kriegspolitik. Sie wurde nationalistischer. Am Ende des ersten Koalitionskrieges wurden deshalb die linksrheinischen Gebiete an Frankreich angeschlossen und zu vier französischen Departements gemacht. Als Ergebnis des zweiten Koalitionskrieges (I799-1802) musste Österreich im Frieden von Lunéville die Abmachungen des Friedens von Campo Formio nochmals bestätigen. Gleichzeitig betrieb Napoleon eine territoriale Umgestaltung des Reichs. Er forderte die Entschädigung der Fürsten, die ihre linksrheinischen Besitzungen verloren hatten, durch die Säkulaisierung von Kirchengut, die Mediatisierung von Reichsstädten und Reichsritterschaften. Das Ansinnen Napoleons verstiess zwar gegen die Verfassung des Reiches. Da Napoleon aber der Abzug seiner Truppen von der Zustimmung des Reiches zu diesem Plan abhängig machte, wurde ein Ausschuss des Reichstags, eine so genannte Reichsdeputation, eingesetzt. Sie erarbeitete eine entsprechende Vorlage, den Reichsdeputationshauptschluss, der 1803 vom Reichstag angenommen wurde. Dadurch wurden 112 selbstständige Reichsstände (geistliche Fürsten, Reichsritter, Reichsstädte) aufgehoben