Arbeitsblatt: Kurzgeschichten zum Nachdenken

Material-Details

Folgende Kurzgeschichten sind enthalten: - Die drei Siebe des Sokrates - Die Samen - Leere Tasse - Aufeinander hören - Die Kathedrale - Der Suchende - Der Einheimische und der Tourist - Das Geheimnis der Zufriedenheit - Das Bild - Der Wettstreit zwischen Sonne und Wind - Der Indianer und die Grille
Deutsch
Textverständnis
8. Schuljahr
5 Seiten

Statistik

98613
1460
53
09.05.2012

Autor/in

Michael Neidhart
Land: Schweiz
Registriert vor 2006

Downloads Arbeitsblätter / Lösungen / Zusatzmaterial

Die Download-Funktion steht nur registrierten, eingeloggten Benutzern/Benutzerinnen zur Verfügung.

Textauszüge aus dem Inhalt:

Geschichten zum Nachdenken M. Neidhart Die drei Siebe des Sokrates Zum weisen Sokrates kam einer gelaufen und war voll Aufregung: Höre, Sokrates, das muss ich dir erzählen, wie dein Freund . Halt ein!, unterbrach ihn der Weise, hast du das, was du mir sagen willst, durch die drei Siebe gesiebt? Drei Siebe?, fragte der andere voll Verwunderung. Ja, guter Freund. Lass sehen, ob das, was du mir zu sagen hast, durch die drei Siebe hindurchgeht. Das erste Sieb ist die Wahrheit. Hast du alles, was du mir erzählen willst, geprüft, ob es wahr ist? Nein, ich hörte es erzählen und . Aber sicher hast du es mit dem zweiten Sieb geprüft, es ist das Sieb der Güte. Ist das, was du mir erzählen willst wenn es schon nicht als wahr erwiesen , so doch wenigstens gut? Zögernd sagte der andere: Nein, das nicht, im Gegenteil Hm, unterbrach ihn der Weise, so lass uns auch das dritte Sieb noch anwenden und lass uns fragen, ob es notwendig ist, mir das zu erzählen, was dich so erregt! Notwendig nun gerade nicht Also, lächelte der Weise, wenn das, was du mir erzählen willst, weder wahr noch gut, noch notwendig ist, so lass es begraben sein und belaste dich und mich nicht damit! Die Samen Es steckten einmal zwei Samen nebeneinander im Boden. Der erste Samen sprach: Ich will wachsen! Ich will meine Wurzeln tief in die Erde senden und ich will als kleines Pflänzchen die Erdkruste durchbrechen, um dann kräftig zu wachsen. Ich will meine Blätter entfalten und mit ihnen die Ankunft des Frühlings feiern. Ich will die Sonne spüren, mich von Wind hin und her wehen lassen und den Morgentau auf mir spüren. Ich will wachsen! Und so wuchs der Samen zu einer kräftigen Pflanze. Der zweite Samen sprach: Ich fürchte mich. Wenn ich meine Wurzeln in den Boden sende, weiß ich nicht, was mich dort in der Tiefe erwartet. Ich befürchte, dass es mir wehtut oder dass mein Stamm Schaden nehmen könnte, wenn ich versuche, die Erdkruste zu durchbrechen. Ich weiß auch nicht, was dort oben über der Erde auf mich lauert. Es kann so viel geschehen, wenn ich wachse. Nein, ich bleibe lieber hier in Sicherheit und warte, bis es sicherer ist. Geschichten zum Nachdenken M. Neidhart Und so verblieb der Samen in der Erde und wartete. Eines Morgens kam eine Henne vorbei. Sie scharrte mit ihren scharfen Krallen nach etwas Essbaren im Boden. Nach einer Weile fand sie den wartenden Samen im Boden und fraß ihn auf. Geschichten zum Nachdenken M. Neidhart Leere Tasse Eines Tages kam ein Schüler zum Meister. Er hatte schon so viel von dem weisen Mann gehört, dass er unbedingt bei ihm studieren wollte. Er hatte alle Angelegenheiten geregelt, sein Bündel geschnürt und war den Berg hinauf gekommen, was ihn zwei Tage Fußmarsch gekostet hatte. Als der junge Mann beim Meister ankam, saß dieser im Lotussitz auf dem Boden und trank Tee. Der junge Mann begrüßte den Meister überschwänglich und erzählte ihm, was er schon alles gelernt habe. Dann bat er ihn, bei ihm weiterlernen zu dürfen. Der Meister lächelte freundlich und sagte: Komm in einem Monat wieder. Von dieser Antwort verwirrt, ging der junge Mann zurück ins Tal. Er diskutierte mit Freunden und Bekannten darüber, warum der Meister ihn wohl zurückgeschickt hatte. Einen Monat später, erklomm er den Berg erneut und kam zum Meister, der wieder Tee trinkend am Boden saß. Diesmal erzählte der Schüler von all den Hypothesen und Vermutungen, die er und seine Freunde darüber hatten, warum er ihn wohl fortgeschickt hatte. Und wieder bat er ihn, bei ihm lernen zu dürfen. Der Meister lächelte sie freundlich an und sagte: Komm in einem Monat wieder. Dieses Spiel wiederholte sich einige Male. Es war also nach vielen vergeblichen Versuchen, dass sich der junge Mann erneut aufmachte, um zu dem Meister zu gehen. Als er diesmal beim Meister ankam und ihn wieder Tee trinkend vorfand, setzte er sich ihm stumm gegenüber, lächelte und sagte nichts. Nach einer Weile ging der Meister in seine Behausung und kam mit einer Tasse zurück. Er schenkte ihm Tee ein und sagte dabei: Jetzt kannst Du hier bleiben, damit ich dich lehren kann. In ein volles Gefäß kann ich nichts füllen. Aufeinander hören Als ein Mann, dessen Ehe nicht gut ging, seinen Rat suchte, da sagte der Meister: „Du musst lernen, deiner Frau zuzuhören. Der Mann nahm sich diesen Rat zu Herzen und kam nach einem Monat zurück und sagte, er habe gelernt, auf jedes Wort, das seine Frau sprach, zu hören. – Da sagte der Meister mit einem Lächeln: „Gut. Dann gehe nun nach Hause und höre auf jedes Wort, das sie nicht sagt. (Autor unbekannt) Geschichten zum Nachdenken M. Neidhart Die Kathedrale Vor vielen Jahrhunderten, als man noch große Kirchen und Kathedralen erbaute, ereignete sich folgende Geschichte: „Drei Steinmetze sitzen am Straßenrand und behauen je einen Stein. Ein Passant kommt vorbei und fragt sie, was sie denn da machen. Das sehen Sie doch, erwidert der erste mürrisch. „Ich muss diesen Stein behauen. Der Zweite sagt gelangweilt: „Ich meissle diesen Stein, weil ich damit Geld verdiene. Ich habe sechs Kinder. Der Dritte lächelt und erklärt: „Ich baue eine Kathedrale. Der Suchende Es war einmal ein Suchender. Er suchte nach einer Lösung für sein Problem, konnte sie aber nicht finden. Er suchte immer heftiger, immer verbissener, immer schneller und fand sie doch nirgends. Die Lösung ihrerseits war inzwischen schon ganz außer Atem. Es gelang ihr einfach nicht, den Suchenden einzuholen, bei dem Tempo, mit dem er hin und her raste, ohne auch nur einmal zu verschnaufen oder sich umzusehen. Eines Tages brach der Suchende mutlos zusammen, setzte sich auf einen Stein, legte den Kopf in die Hände und wollte sich eine Weile ausruhen. Die Lösung, die schon gar nicht mehr daran geglaubt hatte, dass der Suchende einmal anhalten würde, stolperte mit voller Wucht über ihn! Und er fing auf, was da so plötzlich über ihn hereinbrach und entdeckte erstaunt, dass er seine Lösung in Händen hielt. (Autor unbekannt) Der Einheimische und der Tourist Es war einmal in einem kleinen Fischerdorf irgendwo in Italien. Ein Tourist kam vorbei und sah einen Mann, der seelenruhig am Hafenkai saß und aufs Meer blickte. Der Tourist ging zu dem Mann und sagte: Entschuldigung, ich möchte Sie etwas fragen: Warum arbeiten Sie eigentlich nicht? Sie könnten sich z.B. ein Fischerboot kaufen und hinaus aufs Meer fahren. Aber, warum soll ich denn arbeiten? fragte der Mann. Ich habe alles, was ich brauche genug zu leben und zufrieden bin ich auch. Aber wenn Sie arbeiten würden, können Sie viel Geld verdienen, das Geld sparen und es zinsbringend anlegen! sagte der Tourist. Warum, fragte der Mann, soll ich Geld verdienen und sparen? Wenn Sie gut verdienen, können Sie von den Zinsen leben und dann brauchen nicht mehr zu arbeiten! Der Mann schaute den Tourist an und schüttelte langsam den Kopf. Dann ging sein Blick wieder hinauf auf das Meer. (nacherzählt nach Heinrich Böll) Geschichten zum Nachdenken M. Neidhart Geschichten zum Nachdenken M. Neidhart Das Geheimnis der Zufriedenheit Es kamen einmal ein paar Suchende zu einem alten Zen Meister. Herr, fragten sie was tust du, um glücklich und zufrieden zu sein? Wir wären auch gerne so glücklich wie du. Der Alte antwortete mit mildem Lächeln: Wenn ich liege, dann liege ich. Wenn ich aufstehe, dann stehe ich auf. Wenn ich gehe, dann gehe ich und wenn ich esse, dann esse ich. Die Fragenden schauten etwas betreten in die Runde. Einer platzte heraus: Bitte, treibe keinen Spott mit uns. Was du sagst, tun wir auch. Wir schlafen, essen und gehen. Aber wir sind nicht glücklich. Was ist also dein Geheimnis? Es kam die gleiche Antwort: Wenn ich liege, dann liege ich. Wenn ich aufstehe, dann stehe ich auf. Wenn ich gehe, dann gehe ist und wenn ich esse, dann esse ich. Die Unruhe und den Unmut der Suchenden spürend fügte der Meister nach einer Weile hinzu: Sicher liegt auch ihr und ihr geht auch und ihr esst. Aber während ihr liegt, denkt ihr schon ans Aufstehen. Während ihr aufsteht, überlegt ihr wohin ihr geht und während ihr geht, fragt ihr euch, was ihr essen werdet. So sind eure Gedanken ständig woanders und nicht da, wo ihr gerade seid. In dem Schnittpunkt zwischen Vergangenheit und Zukunft findet das eigentliche Leben statt. Lasst euch auf diesen nicht messbaren Augenblick ganz ein und ihr habt die Chance, wirklich glücklich und zufrieden zu sein. Das Bild Einmal zeigte ein erfolgreicher Mann einem guten Freund ein Bild, das er gemalt hatte. Größe: Etwa ein Meter mal ein Meter. Linke Hälfte der Leinwand lila, rechte Hälfte der Leinwand gelb. Er hatte das Gemälde gerade für ein stattliches Honorar verkauft. „Das kann ich auch!, sagte sein Freund spontan. Der Maler lachte ihn an und erwiderte: „Siehst du, das unterscheidet uns. Du kannst es, aber du tust es nicht! Der Wettstreit zwischen Sonne und Wind Der Wind und die Sonne gerieten eines Tages darüber in einen Streit, wer es von den beiden wohl schneller schaffen würde, den Wanderer dazu zu bringen, seine Jacke auszuziehen. Ok, sagte der Wind. Lass uns einen Wettkampf dazu machen. Der Wind begann. Er blies so fest er nur konnte und stürmte und tobte und wollte dem Mann seine Jacke mit Gewalt vom Leib reißen. Aber der Wanderer zog seine Jacke nur immer fester um sich und hielt sie mit beiden Händen fest. Nach Geschichten zum Nachdenken M. Neidhart einer ganzen Weile gab der Wind auf. Dann war die Sonne an der Reihe. Sie wählte einen anderen Weg: Liebevoll sandte sie dem Wanderer ihre warmen Strahlen. Und es dauerte nicht lange, bis er die Jacke aufknöpfte und sie ganz auszog. (nach der Fabel von Aesop) Geschichten zum Nachdenken M. Neidhart Der Indianer und die Grille Ein Indianer, der in einem Reservat weit von der nächsten Stadt entfernt wohnte, besuchte das erste Mal seinen weissen Bruder in der grossen Metropole. Er war sehr verwirrt vom vielen Lärm, von der Hektik und vom Gestank in den Strassenschluchten. Als sie nun durch die Einkaufsstrasse mit den grossen Schaufenstern spazierten, blieb der Indianer plötzlich stehen und horchte auf. Was hast du, fragte ihn sein Freund. Ich höre irgendwo eine Grille zirpen, antwortete der Indianer. Das ist unmöglich, lachte der Weisse. Erstens gibt es hier in der Stadt keine Grillen und zweitens würde ihr Geräusch in diesem Lärm untergehen. Der Indianer liess sich jedoch nicht beirren und folgte dem Zirpen. Sie kamen zu einem älteren Haus dessen Wand ganz mit Efeu überwachsen war. Der Indianer teilte die Blätter und tatsächlich: Da sass eine grosse Grille. Ihr Indianer habt eben einfach ein viel besseres Gehör, sagte der Weisse im weitergehen. Unsinn, erwiderte sein Freund vom Land. Ich werde Dir das Gegenteil beweisen. Er nahm eine kleine Münze aus seiner Tasche und warf sie auf den Boden. Ein leises Pling liess sich vernehmen. Selbst einige Passanten, die mehr als zehn Meter entfernt standen, drehten sich augenblicklich um und schauten in die Richtung, aus der sie das Geräusch gehört hatten. Siehst Du mein Freund, es liegt nicht am Gehör. Was wir wahrnehmen können oder nicht liegt ausschliesslich an der Richtung unserer Aufmerksamkeit.